„Inspiration für den ganzen Verein“
Jan Aage Fjörtoft über Eintrachts Zukunft, seine Beobachtungen bei den beiden UEFA-Finals, die Champions League und seine Urlaubsplanung.
Der Triumph von Sevilla liegt mittlerweile ein paar
Wochen zurück. Inzwischen liegt der Fokus längst wieder voll auf der neuen
Saison. Was denkst du, wie es nach diesem unglaublichen Titel weitergeht?
Über die Zukunft mache ich mir aktuell keine Sorgen. Mit dem
Europa-League-Titel im Rücken ist man „Best of the Rest“ hinter den ständigen
Champions-League-Teilnehmern, das ist eine tolle Ausgangsposition für die
kommenden Jahre. Die Eintracht ist ein Verein, der vernünftig geführt wird und
der auf den Schlüsselpositionen die richtigen Leute sitzen hat. Diese teilen
nicht nur die gleichen, sondern auch die richtigen Werte. Eine Stärke der Eintracht
in den vergangenen Jahren war immer die Zusammensetzung des Kaders. Chemie und
Demografie der Truppe scheinen stets zu stimmen, die Balance zwischen jungen
und alten Spielern, verschiedenen Charakteren und Nationalitäten. Timmy und
Gonca sind stellvertretend für dieses Mannschaftsklima, man hat ihnen nicht nur
in Sevilla zu jeder Sekunde angemerkt, wie gerne sie ein Teil dieses Teams
sind, auch wenn sie vielleicht nicht so oft spielen. Für sie steht der Erfolg
der Mannschaft über allem. Mein Eindruck von Markus Krösche und Oliver Glasner
ist, dass ihnen das auch sehr bewusst ist und sie großen Wert darauf legen.
„Ich bin im Sommer zumindest an den Wochenenden zu
Hause“
Während und nach dem Finale gab es große Kritik aufgrund
der Getränkesituation im Stadion, kurze Zeit später gab es auch in Paris beim
Finale der Champions League negative Schlagzeilen. Du warst bei beiden
Endspielen vor Ort. Wie hast du diese Spiele erlebt?
Ich muss sagen, dass das ein organisatorischer Skandal war.
Meiner Meinung nach ist man vor allem beim Champions-League-Finale knapp an
einer Katastrophe vorbeigeschrammt. Vom Medieneingang konnte ich die Szenen mit
eigenen Augen sehen. Da wurden Menschen gegen die Tore gedrückt und man musste
unweigerlich an die schrecklichen Bilder aus Hillsborough denken, als den
Liverpooler Fans dieses schreckliche Schicksal widerfahren ist. Zum Glück blieb
es da bei leichteren Verletzungen. Dass die französischen Behörden im Anschluss
den Fans den Schwarzen Peter zuschieben wollten, setzt dem noch die Krone auf.
Die Ausrichter beider Finals sollten sich bei den Fans entschuldigen. Die
Probleme solcher Events sind bekannt, man kann sich lange im Voraus darauf
einstellen: viele Menschen, Hitze, Alkohol, ausgelassene Stimmung. Man hatte
letztlich viel Glück, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Auch die UEFA darf
sich da nicht aus der Verantwortung stehlen, sondern muss das aufarbeiten.
In der kommenden Spielzeit tritt die SGE nun erstmals in
der Champions League an.
Diese erste Teilnahme an der Königsklasse wird
eine Inspiration für den gesamten Verein sein. Spieler und Klub werden viel
lernen, während sie sich mit den Besten der Besten messen. Gegen Barcelona hat
man schon mal gesehen, auf was für ein Niveau man sich da einstellen muss, und
hat gleichzeitig bewiesen, dass man auch auf diesem Level mithalten kann. Am
liebsten würde man in Zukunft natürlich regelmäßig um diese Plätze mitspielen,
aber dafür muss man auf höchstem Niveau arbeiten können und natürlich die
nötige Erfahrung sammeln. Dazu hat die Eintracht jetzt die Chance, und das
fängt bereits mit dem Supercup gegen Real Madrid an. Man hat in der Europa
League seit 2018 schon viel gelernt, etwa über die Reisen und den engen
Spielplan. Bloß werden jetzt die Gegner eine Nummer größer sein.
Nach so einer langen, intensiven Saison: Geht es für dich
da direkt in den ausgedehnten Urlaub? So ganz ohne ständige Flüge quer
durch Europa?
Schön wär’s! Ich habe ja noch meine Kommunikationsfirma und
auch da genug zu tun. Aber zumindest bin ich an den Wochenenden zu Hause.
Trotzdem besuche ich natürlich die norwegischen Länderspiele wie zuletzt gegen
Schweden oder sehe mir die U21 an. Langeweile kommt also nicht auf (lacht). Im
Juli mache ich tatsächlich etwas länger Urlaub. Dann wartet aber auch schon der
englische Supercup auf mich. Mein Sender hat ab der kommenden Saison die Rechte
an der Premier League für Norwegen, also werde ich da dann sehr aktiv sein.
Entsprechend mache ich auch weniger Bundesliga, bleibe aber zum Beispiel noch
ein Jahr dienstags bei Sky. Ich hoffe, dabei viel über die Eintracht sprechen
zu können.
Machst du mittlerweile eigentlich anders Urlaub als noch
zur aktiven Zeit?
Das ist eine gute Frage, denn wenn ich so darüber nachdenke,
folgt mein Urlaubsplan eigentlich schon seit meiner Kindheit immer dem
Fußballkalender. Mittlerweile habe ich nur etwas mehr freie Zeit als während
meiner Profikarriere, weil ich keine Saisonvorbereitung mehr machen muss.
Apropos Urlaub: Zu meiner Zeit in England waren wir oft auf Sardinien im Urlaub.
Da gibt es ein Resort namens „Forte Village“. Aus irgendwelchen Gründen
tummelten sich da immer haufenweise ehemalige und aktive Profifußballer. Einmal
reiste ich mit meinem Landsmann Henning Berge dorthin, der zu dieser Zeit für
Manchester United spielte. Vor Ort trafen wir auf Spieler aus Deutschland,
Italien, England, aber auch auf Trainer wie Arsène Wenger. Als wir die ganzen
großen und kleineren Namen sahen, meinte ich nur zu Henning: „Wenn jetzt jemand
einen 16er Kader von diesem Urlaubsort zusammenstellen soll, sind wir beide
nicht mal im Kader“ (lacht).
Interview: Markus Rutten
Jan Aage Fjörtoft, 55, hat die Eintracht 1999 zum
Klassenerhalt geschossen und genießt bei den Fans nicht nur daher Kultstatus.
Er ist ein fußballerischer Weltenbummler, meinungsstark, immer auf dem
Laufenden, ein gefragter Experte und nicht zuletzt unserer Eintracht nach wie
vor tief verbunden. Das sind Gründe genug für eine regelmäßige
Interview-Kolumne mit dem Norweger.