„Wir sind Stolz und das Feedback ist immens“
Bobsport im Rhein-Main-Gebiet, Unterschiede zwischen Piloten und Anschieber, zeitlicher Ablauf einer Saison, Zielsetzungen und die Bedeutung des Adlers auf der Brust – über diese und viele weitere Themen hat die EvM-Redaktion mit Erica Fischbach, Präsidentin des Hessischen Bob- und Schlittensportverbands e.V. und Verantwortliche für den Bobsport bei der Eintracht, und Tim Restle, Sportlicher Leiter bei Eintracht Frankfurt sowie hessischer Landestrainer, gesprochen.
Wintersport im schneearmen Rhein-Main-Gebiet – wie passt
das zusammen?
Tim: Wir können uns athletisch vorbereiten, wir
können Anschubtraining machen, aber im Gegensatz zu anderen Sportarten können
wir im Sommer nicht unseren Kernsport, das Bobfahren, ausüben. Und deshalb ist
es für uns zunächst das Wichtigste, dass wir sehr gute Rahmenbedingungen für
das Athletiktraining haben. Bahnen vor Ort zu haben, ist gar nicht so sehr
notwendig. Die Piloten können im Sommer ohnehin kein Bob fahren, für die
Anschieber wäre natürlich eine Anschubstrecke ein großer Traum, das ist ja aber
auch perspektivisch unser Ziel.
Dass es aktuell keine Anschubstrecke gibt, ist vermutlich
ein großer Nachteil?
Tim: Aktuell müssen die Sportler über 200, 300
Kilometer zum Anschieben fahren, das ist sicherlich nicht optimal. Aber das
Rhein-Main-Gebiet hat auch einen großen Vorteil – den demografischen Faktor. In
den Städten gibt es mehr junge Menschen und ein größeres Sportartenangebot.
Natürlich macht es dies einerseits schwieriger, die Talente zu finden, da diese
verteilter sind, aber grundsätzlich findet man schon mehr Talente.
Apropos Rekrutierung: wie sieht diese im Bobsport aus?
Tim: Die Besonderheit am Bobsport ist, dass alle
vorher eine andere Sportart ausgeübt haben. Im Kindesalter kann man noch nicht
Bob fahren und auch im Jugendalter ist es eher ungewöhnlich. Traditionell fängt
man erst mit 18 Jahren und älter an. Die jüngste Altersklasse, in der es
Wettkämpfe gibt, ist die U23- Altersklasse. Daher ist es natürlich so, dass wir
Sportler übernehmen, die in anderen Sportarten aktiv waren. Es gibt zwei große
Faktoren, die für unseren Sport und entsprechend für die Rekrutierung wichtig
sind: die Schnelligkeit und die Kraft. Klassischerweise wird in der
Leichtathletik stark rekrutiert. Zum einen haben diese Sportler eine gute
Grundlagenausbildung, die für viele Sportarten wichtig ist. Zum anderen ist es
gleichzeitig eine Datensportart, in er man in den Listen durchschauen und
selektieren kann, obwohl man den Sportler noch nie gesehen hat. Das ist in
anderen Sportarten wie beispielsweise Rugby oder Football aufgrund der
fehlenden Daten schwieriger.
Ihr absolviert euer Training in den Trainingsstätten an
der Hahnstraße und in Kalbach. Beschreibt uns doch mal, wie wir uns euer
Training vorstellen müssen.
Tim: Grundsätzlich ähnelt unser Training dem in der
Leichtathletik. Wir haben zwei Schwerpunkte – der eine ist der läuferische
Schwerpunkt, der andere das Krafttraining. Letzterer ist etwas ausgeprägter als
bei den meisten Sprintern. Das Lauftraining ist Sprint-lastig. Hinzu kommt noch
eine dritte Komponente, das Anschubtraining.
Stichwort Anschubstrecke. Es soll zukünftig eine in
Frankfurt geben. Wie ist hier der Stand der Planungen?
Erica: Es hat dazu ein Gespräch zwischen dem
Hessischen Innenministerium, der Stadt Frankfurt und der Eintracht gegeben und
man hat sich inzwischen geeinigt, dass die Eintracht nun die Anschubstrecke
baut – zum einen, weil sie die Gewerke dazu hat, und zum anderen, weil es
schneller geht, als wenn die Stadt es bauen würde. Hinzu kommen dann Zuschüsse
vom Hessischen Innenministerium und hoffentlich auch von der Stadt. Für
Frühjahr 2023 ist angedacht, dass das Gelände an der Hahnstraße ein wenig
umgebaut wird und in diesem Zusammenhang soll auch die Anschubstrecke
integriert werden. Spätestens Ende 2023 wird diese voraussichtlich
fertiggestellt sein. Damit könnten wir zukünftig den Zeitaufwand minimieren,
der durch die Fahrten zu einer Anschubstrecke draufgeht, und auch Kosten durch
den Sprit einsparen.
Wie sieht ein Jahr im Bobsport aus?
Tim: Die Saison beginnt in der Regel Ende September
beziehungsweise in diesem Jahr Anfang Oktober mit dem Zentralen Leistungstest.
Anschließend folgen der Mannschafsstarttest und zuletzt die Selektionsrennen
auf allen deutschen Bahnen – ursprünglich waren das drei, dadurch dass aktuell
Königssee wegfällt [durch Unwetter im Jahr 2021; Anm. d. Red.], aktuell auf
zwei Bahnen. Bei diesen Ausscheidungsrennen kann man sich für den Weltcup oder
den Europacup qualifizieren. Anschließend starten die jeweiligen Rennserien und
dauern bis Saisonende im März an. Der Saisonhöhepunkt eines Jahres ist meist im
Februar. Die Pause nach der Saison variiert je nach Alter des Athleten und im
Frühjahr steigen wir in der Regel wieder mit dem Athletiktraining ein.
Für die Anschieber bedeutet der „Zentrale Leistungstest“
dann auch, sich für ein Team zu qualifizieren beziehungsweise sich für einen
Piloten zu empfehlen?
Erica: Die Wechselfrist zu einem anderen Verein endet
zum 1. Juli. Wie die Piloten Verträge machen, ist sehr individuell. Viele
werden bereits im Frühjahr, Sommer gemacht, viele Athleten haben aber auch
keinen Vertrag. Es ist dennoch eher ungewöhnlich, nach dem Test das Team zu
wechseln. Wenn man bisher noch kein Team hat, kriegt man nach einem guten Test
aber in der Regel ein Angebot – vor allem bei den Frauen. Außerdem kann man
sich mit seiner Leistung für Welt-, und Europacup-Einsätze empfehlen.
Das heißt aber, wenn man kein Team hat oder beim Test zu
schlecht war, ist die Saison gelaufen?
Erica: Es kann während einer Saison im Bobsport so viel passieren,
dann ist die Chance wieder da und man kommt doch noch in ein Team. Außerdem
gibt es nach Weihnachten einen zweiten Test, bei dem man sich auch noch für die
zweite Saisonhälfte empfehlen kann.
Es gibt im Bobsport verschiedene Wettbewerbe – von den
Deutschen Meisterschaften über Europa- und Weltmeisterschaften, Europacups und
Weltcups bis hin zu den Olympischen Spielen. Wie ist der jeweilige Stellenwert
der Wettbewerbe einzuordnen?
Erica: Die Reihenfolge vom Prestige her gesehen ist
folgende: Zunächst kommen die Olympischen Spiele, dann die Welt- und
Europameisterschaften, auch der Gesamt-Weltcup spielt noch eine besondere
Rolle. Und am Ende stehen die Deutschen Meisterschaften. Das ist das Kleinste
vom Kleinsten.
Welche Unterschiede gibt es zwischen dem Piloten und dem
Anschieber?
Tim: Athletisch gibt es zwischen Piloten und
Anschieber keine Unterschiede. Beide haben dieselbe Aufgabe: Sie müssen so
schnell wie möglich einen Schlitten anschieben. Allerdings ist ein Sportler
Anschieber geworden, weil er schnell anschieben kann, aber nicht jeder Pilot
ist wegen seiner Schnelligkeit Pilot geworden. Es gibt Piloten, die
startschwach sind und versuchen, am Start nicht zu viel Zeit zu verlieren, und
dafür in der Bahn technisch überragend sind. Vom Training her gibt es zwischen
Piloten und Anschieber keine Unterschiede. Der Pilot hat allerdings noch viele
weitere Aufgaben zu erfüllen: Er muss das Team führen, entsprechend eine
Führungspersönlichkeit sein. Er bezahlt das Team, er muss die Sponsoren
reinbringen und am Ende entscheiden, welche Besatzung er aufstellt. Der
Unterschied zwischen Pilot und Anschieber liegt oft in der Persönlichkeit. Wir
spaßen oft und sagen ‚typisch Anschieber‘, wenn jemand wieder etwas vergessen
oder nicht mitgedacht hat (lacht). Der Pilot ist daran gewöhnt, immer für
andere mitzudenken, und der Anschieber, dass er gesagt bekommt, wann er wo da
zu sein hat.
„Wir wollen möglichst viele Athleten bei den Olympischen Spielen 2026 dabei haben und um Medaillen kämpfen“ -Tim Reskle -
Das klingt nach einem vollen Terminkalender für den
Piloten und einem großen finanziellen Risiko …
Tim: Das stimmt. Er hat schon wesentlich mehr Arbeit,
mehr Verantwortung und auch wesentlich mehr finanzielles Risiko als der
Anschieber. Er muss die ganzen Investitionen machen. Aber wenn der Pilot oben
ankommt, hat er auch Vorteile. Es ist sein Team, sein Name steht auf dem Logo
und er steht im Mittelpunkt der Öffentlichkeit.
Was bedeutet für euch der Adler auf der Brust? Wie wird
dieser wahrgenommen?
Erica: Wir sind stolz und das Feedback ist immens.
Solch ein Feedback hatte ich noch nie in meinen gesamten 29 Jahren beim
Bobsport. Ich wurde schon von den Sachsen angesprochen, ob ich nicht für sie
bei dem Leipziger Fußball-Bundesligisten intervenieren könne (lacht). Die
Menschen haben eine Riesenhochachtung von heute auf morgen – und das nur durch
den Wechsel zur Eintracht. Wir werden jetzt noch ernster genommen als zuvor und
sind auch hundertprozentig angekommen.
Tim: Wenn man wie ich gebürtig aus dem Rhein-Main-Gebiet kommt, ist die Eintracht ein Teil der Rhein-Main-Kultur. Man fühlt sich zugehörig, der Klub ist mehr als ein Verein und steht für bestimmte Werte. Es gab natürlich auch keine bessere Zeit, um in den Verein zu kommen. Die Eintracht hat eine riesige Strahlkraft, öffnet schon Türen und sorgt für extreme Aufmerksamkeit. Es ist schon etwas Schönes, Teil eines starken Klubs zu sein.
Zum Abschluss: Welche Ziele verfolgt ihr?
Erica: Noch mehr Athleten bei den Olympischen Spielen
2026 dabei zu haben – neben den Piloten auch noch mehr Anschieber. Mein Ziel
ist es außerdem, den Bobsport noch größer und nachhaltiger zu machen. Das
heißt, wir müssen von unten mehr aufbauen und brauchen eine größere Bandbreite.
Außerdem würden wir gerne noch mehr Athleten aus unserer Region und Hessen
rekrutieren.
Tim: Unser Blick richtet sich bereits auf die Olympischen Spiele in Cortina d’Ampezzo im Jahr 2026. Wir wollen einerseits möglichst viele Starter dabei haben, aber dann natürlich auch um Medaillen kämpfen. Und das alles ohne Coronaspiele, vor vielen Zuschauern und hoffentlich mit vielen Familien und Freunden.