„Herr Ribbeck, ich bin bereit!“
Am 14. Oktober 1972 betritt Karl-Heinz „Charly“ Körbel erstmals die Bundesligabühne, auf der er so oft wie kein anderer gespielt hat. Sein erster Gegenspieler ist der weltbeste Stürmer. 50 Jahre später blickt der heutige Leiter der Traditionsmannschaft und der Fußballschule bei Eintracht Frankfurt zurück.
Text:
Max Barz
Fotos:
Eintracht-Archiv, imago images
Freitag, 13. Oktober 1972. Eigentlich hätte der damals 17-jährige Körbel angesichts des Datums wissen können, dass dieser Tag kein gewöhnlicher werden würde, als er mit dem Zug aus Frankfurt in seine beschauliche Heimat Dossenheim an der badischen Bergstraße fuhr. In diesem Fall brachte das Datum jedoch Glück – nicht nur für ihn, sondern letztlich auch für Eintracht Frankfurt und die gesamte Bundesliga. Denn an diesem Nachmittag klingelte das Telefon bei Körbels Mutter.
SGE-Geschäftsführer Jürgen Gerhardt rief im Namen von Trainer Erich Ribbeck an. Friedel Lutz, der Deutsche Meister von 1959, hatte sich die Achillessehne gerissen, wodurch Körbel am Samstag gegen den FC Bayern im Kader stehen sollte. Erst im Sommer war er zur Eintracht gewechselt und bisher nur in der Jugend zum Einsatz gekommen.
Vom Sportplatz des FC Dossenheim, wo er mit einem Freund gerade kickte, ging es für den Junioren-Nationalspieler somit direkt in die Mannschaftsunterkunft der Eintracht. Körbels Bruder richtete ihm die Nachricht aus, sein Vater fuhr ihn hin, nachdem er extra von seinem Chef freibekommen hatte – Familien-Teamwork in Zeiten ohne Mobiltelefone.
Wie Körbel später im Zeitzeugen-Interview zum 50-jährigen Jubiläum der Bundesliga erzählte, kam Ribbeck abends auf sein Zimmer und fragte ihn: „Traust du dir zu, morgen gegen Gerd Müller zu spielen?“ Müller war damals bereits viermaliger Bundesliga-Torschützenkönig, bester Torschütze der vorangegangenen EM und WM sowie Gewinner des Ballon d’Or 1970. Kurzum: Ein 17-jähriger Verteidiger sollte bei seinem Bundesliga-Debüt gegen den besten Stürmer der Welt bestehen. Doch Körbel hatte den Bomber der Nation bei vielen Spielen im Fernsehen studiert und fühlte sich gut vorbereitet. Seine Antwort deshalb: „Herr Ribbeck, ich bin bereit!“
Das Besondere an diesen Worten eines so jungen Spielers war, dass Körbel darauf auch Taten folgen ließ. Im mit 42.000 Zuschauern ausverkauften Waldstadion – eine solche Auslastung war zur damaligen Zeit selten – merkte man ihm keine Nervosität an. Er klebte förmlich an Müller und ließ ihm über 90 Minuten nahezu keinen Freiraum. Die Adlerträger um Jürgen Grabowski sowie die Torschützen Bernd Hölzenbein und Roland Weidle schlugen den FC Bayern München mit 2:1. Dass Müller fünf Minuten vor dem Ende zum Anschluss traf, schmälerte das herausragende Debüt des Teenagers in keiner Weise.
Starke Leistungen gegen Gerd Müller blieben von da an kein Einzelfall, ganz im Gegenteil. Für Körbel wurde Müller zu einem seiner Lieblingsgegenspieler. „Jeder hat Angst vor ihm gehabt. Ich habe unheimlich gerne gegen ihn gespielt, weil das einfach bei mir drin war. Die Spielart von Gerd hat mir gelegen“, sagt Körbel. Die Bilanz gab ihm recht. In nur vier der 13 Duelle zwischen den beiden konnte Müller treffen, einmal gelang ihm ein Doppelpack. Die Eintracht gewann acht dieser Spiele und verlor keine einzige Partie im eigenen Stadion.
Auch wegen dem Spaß am Spiel gegen Müller blieben Körbel die Duelle mit dem Rekordmeister in besonderer Erinnerung. „Das sind die Spiele, die meine Karriere geprägt haben“, erzählt er. „Mein ganzes Leben hat mich Bayern München begleitet. Das erste Spiel habe ich gegen die Bayern gemacht, das Abschiedsspiel auch und viele der schönsten Spiele meiner Karriere auch.“ Dabei wäre es zu diesem besonderen Debüt vor 50 Jahren gegen den FCB beinahe gar nicht gekommen, denn Körbels erster hautnaher Berührungspunkt mit der SGE war alles andere als positiv. Als Neunjähriger ging er mit seinem Vater erstmals ins Waldstadion zur Partie gegen den KSC. „Das war das erste Fußballspiel, das ich überhaupt gesehen habe. Da hat die Eintracht 0:7 verloren. Da habe ich dann zu meinem Vater gesagt: ‚Also zu so einem Verein würde ich nie gehen!‘“
Einige Jahre später, kurz vor seinem Wechsel an den Main, hatte sich der spätere Bundesliga-Rekordspieler zudem eigentlich schon für einen anderen Verein entschieden. Beim Hamburger SV absolvierte Körbel ein Probetraining mit Vorbild Uwe Seeler und hatte bereits einen gegensignierten Vertrag vorliegen. Durch Gespräche mit seinen Freunden und Eltern änderte er jedoch seine Meinung, um in seiner Heimat Dossenheim zu bleiben. Auch ein Angebot des VfB Stuttgart schlug er aus. Der Türöffner für seinen Wechsel zur Eintracht war schließlich ein Hausbesuch des damaligen Geschäftsführers Gerhardt bei seiner Mutter. Im nur eine Autostunde entfernten Frankfurt bekam er direkt die Möglichkeit, sowohl in der A-Jugend als auch bei den Amateuren zu spielen und bei der Profimannschaft mitzutrainieren.
Eine
gute Entscheidung, wie sich herausstellen sollte. Zum besonderen Auftritt an
diesem 14. Oktober gesellten sich so noch 601 weitere in der Bundesliga zwischen
1972 und 1991 hinzu. In 599 davon stand er in der Startaufstellung, einen
weiteren Einsatz verhinderte eine Gelbsperre am letzten Spieltag in seiner
Abschiedssaison. Körbel lief einzig für seinen Herzensklub auf, insgesamt in
722 Pflichtspielen. Der Eintracht ist er bis auf eine kurze Phase nach seiner
Entlassung als Cheftrainer 1996 treu geblieben und sammelt inzwischen 175
Einsätze in der Traditionsmannschaft. Im Hinblick auf seinen Bundesligarekord, sagt
der 67-Jährige heute mit einem Augenzwinkern: „Vielleicht schaffe ich bei der
Tradi diese Anzahl auch noch.“ Zuzutrauen wäre es ihm allemal.