„Ich konnte mir eigentlich nicht vorstellen, im Ausland zu spielen. [...] Ich bin sehr froh, dass ich das gemacht habe. Ich habe hier noch viele Freunde.“ - Uwe Bein über seinen Wechsel nach Japan 1994 –
Schulmannschaft und Schwierigkeiten
Der Zeitplan ist eng getaktet am ersten Nachmittag. Nach dem Interview steigt Hasebe ins Auto, es geht in die Innenstadt Tokios. Der Eintracht-Tross, dem sich unter anderem auch Weltmeister und Japan-Kenner Uwe Bein angeschlossen hat, fährt über vierspurigen Straßen durch die dichte Bebauung in Japans Hauptstadt, in der rund zehn Millionen Menschen leben; im Großraum Tokio sind es mehr als 35 Millionen. „Tokio ist riesig“, bringt es Hasebe auf den Punkt.
Die Mannschaft kommt erst am Tag danach an, Hasebe bildet sozusagen die Vorhut; aufgrund seiner Verletzung konnte er ohnehin noch nicht am Mannschaftstraining teilnehmen. Diese Rolle in Japan nimmt der Fußballprofi gerne an. Denn Japan ist sein Heimatland, hier ist er groß geworden, hier ist er seine ersten Schritte als Fußballprofi gegangen. In Fujieda ist Hasebe geboren und aufgewachsen, seine Familie lebt heute noch in der knapp drei Autostunden von Tokio entfernten Stadt. Zwar sei er auch mal geschwommen, (leistungs-)sportlich gesehen habe er sich aber eigentlich immer nur mit Fußball befasst.
Früh fängt er an zu kicken und spielt bis zu seinem 17. Lebensjahr in verschiedenen Schulmannschaften. „Das ist der gängigere Weg bei uns in Japan. Manche gehen schon früher in die Jugendmannschaften der großen Klubs, ich war aber bis dahin gar nicht so auffällig. Ich habe lange in der C-Mannschaft gespielt, erst mit 17 in der A-Mannschaft. Im letzten Jahr dort habe ich eine gute Entwicklung genommen“, berichtet Hasebe auf der Autofahrt. Die Konsequenz: Er wurde entdeckt, Angebote von den Urawa Red Diamonds und aus Nagoya lagen ihm vor. „Urawa hatte mich schon lange beobachtet, daher hatte ich mich für sie entschieden.“ Hasebe wechselt zum Klub aus Saitama, zieht das erste Mal um in das Internat der Reds. Drei Jahre wohnt er dort, drei weitere Jahre lebt er in einer Wohnung. Sechs Jahre verbringt er demnach bei den Urawa Red Diamonds, bei denen auch schon Weltmeister Bein Mitte der 1990er Jahre gespielt hatte.
Nach etwa halbstündiger Fahrt erreichen Bein, Hasebe und Co. das Büro von Eintrachts Hauptsponsor Indeed, beide Partner haben erst kürzlich den Vertrag bis zum Jahr 2026 verlängert. Seit 2019 hat die Jobseite im schnell wachsenden Bezirk Azabu Büroflächen angemietet. Ähnlich wie in anderen globalen Zweigstellen verfolgt Indeed auch hier in Japans größter Stadt den Ansatz einer modernen Bürowelt mit Lounges, Kaffeebars, Freizeit- und Arbeitsräumen mit modernsten technischen Möglichkeiten. Der Aufzug mit der Eintracht-Delegation fährt hinauf in den 30. Stock, der Blick über Tokio ist herrlich an diesem Abend.
Im Meetingraum Fujisan, benannt nach dem bekannten Vulkan Fuji, erhalten Bein und Hasebe ein kurzes Briefing zur folgenden Talkrunde, bei der vier Kamerateams, Livestreaming auf den Social-Media-Kanälen von Indeed und rund 50 anwesende Medienvertreter das enorme Interesse verdeutlichen. Rund 200 Indeed-Mitarbeiter warten in einer Art Aula, als die beiden Adlerträger unter großem Applaus den Raum betreten. Hier erzählt Bein, assistiert von einer Dolmetscherin, auch die Geschichte, wie es zu seinem Wechsel nach Japan kam. „Ich konnte mir eigentlich nicht vorstellen, im Ausland zu spielen. Nach der WM 1990 hatte ich ein Angebot aus Florenz, das ich aber nicht angenommen habe. Ein paar Jahre später rief mich Franz Beckenbauer an und fragte, ob ich mir vorstellen könne, in Japan zu spielen. So wechselte ich zu den Urawa Red Diamonds. Ich bin sehr froh, dass ich das gemacht habe. Ich habe hier noch viele Freunde.“
Der Eintracht-Markenbotschafter, von Juli 1994 bis Dezember 1996 zweieinhalb Jahre Spieler der Reds, war an diesem Tag von der ganz frühen Sorte, hatte dem Jetlag getrotzt und schon morgens auf dem Ohara Soccer Field neben dem Saitama Stadium 2002 gemeinsam mit Nicolai Adam, Leiter Internationale Sportkooperationen, eine Trainingseinheit der Fußballschule des neuen Klub-Partners Urawa geleitet. Anlässlich eines Feiertags in Saitama City hatte die Stadt bis zu 100 Mädchen und Jungs im Alter von sechs bis zwölf Jahren ein Trainingscamp der Fußballschule der Urawa Red Diamonds geschenkt.
Das Angebot ist Teil des 2003 ins Leben gerufenen Heart-Full Club der Reds, der sich dem auch der Eintracht wichtigen Thema der Nachhaltigkeit verschrieben hat. Bein, der während der knapp zweistündigen Einheit die Übungsformen begleitete und sich wie zu besten Spielerzeiten als Pass- wie Ratgeber anbot, lobte die Kids hinterher als „diszipliniert, anständig und lernwillig“. Ein paar Tage später sind Bein und Adam bei der Deutschen Schule in Yokohama zu Gast und coachen dort ebenso rund 100 Kinder.
Hasebe und Bein beantworten unterdessen bei Indeed geduldig die Fragen des Moderators nach Motivation, Entscheidungsfindung und der Schwierigkeit, seinen Beruf plötzlich in einer völlig neuen Kultur auszuüben. „Die Fußballsprache ist überall gleich, egal, woher man kommt. Aber natürlich hat zu Beginn nicht alles funktioniert. Mithilfe des Dolmetschers haben wir es aber sehr gut hinbekommen nach ein paar Spielen“, lacht Bein, für den der Klub aus Saitama nach Profistationen auf der anderen Mainseite, in Köln, beim HSV und fünf Jahren bei der Eintracht die erste Anstellung im Ausland war. So wie dies umgekehrt Deutschland für Hasebe war.
Der 38-Jährige ließ seine Denkprozesse bei schwierigen Entscheidungen durchblicken. Früher habe er unter gewissen Situationen gelitten, weil ihm die Erfahrung gefehlt habe. Heute gehe er es anders an. „Die Erfahrung sagt mir, dass die schwierigere Alternative oftmals die bessere, weil interessantere ist. Man muss immer ehrgeizig sein und die Herausforderungen annehmen.“ Wie im Leben lerne man aber im Fußball aus Niederlagen, „und zwar mehr als aus Siegen. Für die Erfahrung sind Fehler hilfreich“.