Prozesse entwickeln, Potenziale entfalten 

In seiner Jugend absolvierte Marc Hess im Trikot des SC Freiburg selbst Junioren-Bundesligaspiele am Riederwald. Seit Sommer ist der 33-Jährige in der neu geschaffenen Position des Leiters Strategie und Entwicklung im Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) von Eintracht Frankfurt tätig. Was dies konkret bedeutet, wie er den Weg zur Eintracht fand und welche Ziele er verfolgt – darüber hat er mit der „Eintracht vom Main“-Redaktion gesprochen. 

Dass Marc Hess ein Mann mit Weitsicht ist, jemand, der gerne über den Tellerrand hinausblickt, wird schnell deutlich. Auf seine eigene Kindheit angesprochen verrät er, dass der Fußball für ihn die einzige Sportart von Interesse gewesen sei. Unmittelbar und ohne Überleitung spannt Marc Hess den Bogen zur Gegenwart: „Das Interesse an Sport im Allgemeinen kam bei mir erst später auf – das ist hier bei der Eintracht super. Wir haben hier viele Abteilungen und noch mehr Sportarten unter dem Vereinsdach und somit ein riesiges Potenzial, das wir in der Ausbildung unserer Spieler nutzen können. Basierend auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen ist eine polysportive Ausbildung für die Entwicklung junger Talente förderlich“, führt er weiter aus. Woher dieser Weitblick kommt, kann Marc Hess selbst nur erahnen. „Ich bin kein Spezialist, sondern interessiere mich als Generalist für die ganzheitliche Entwicklung einer Organisation“, verrät Marc Hess. „In meiner Jugend war ich leider nie ein klassisches Top-Talent mit einer herausragenden Fähigkeit. Das bedeutet, ich musste Wege finden, um beispielsweise durch viel Kommunikation und Organisation ein guter Innenverteidiger zu sein.“ 

Mit dem Fußballspielen angefangen hat der gebürtige Freiburger bereits im zarten Alter von vier Jahren. Als überdurchschnittlich guter Nachwuchskicker folgte rund acht Jahre später folgerichtig der Wechsel ins NLZ des SC Freiburg, dessen Arbeit er bis heute schätzt. „Die Kontinuität, die der SC Freiburg seit Jahren an den Tag legt – unter anderem in der Durchlässigkeit von Talenten, Trainern und Funktionären – ist sicher etwas, das man sich abschauen kann“, sagt der 33-Jährige, denn: „Ich denke, dass Konstanz und eine langfristig verfolgte bzw. angelegte Strategie in einem NLZ eine wichtige Rolle spielt.“ In Erinnerung geblieben sind dem ehemaligen Junioren-Bundesligaspieler auch die Spiele am Riederwald, die er im Trikot der Breisgauer bestritt. Ebenso habe es Duelle gegen Damir Agovic, der im Sommer als U19-Trainer zur Eintracht zurückkehrte, gegeben. Der große Durchbruch auf der Fußballbühne bleibt Marc Hess im Anschluss an die Zeit in der Juniorenbundesliga zwar verwehrt, dennoch bestimmt der Sport, insbesondere der Fußball, auch im Anschluss in weiten Teilen sein Leben. 

„Ich habe mich schon damals nicht unbedingt auf dem Feld gesehen, sondern eher in einer Funktionärsrolle“, sagt Marc Hess, der sich schnell dazu entschließt, Sportökonomie zu studieren. Auch wenn es nicht zum Profidasein gereicht hat, war eine gute fußballerische Ausbildung Wegbereiter seiner akademischen und beruflichen Laufbahn, hat Möglichkeiten geschaffen und liefert entsprechend Inspiration für seine Tätigkeit im NLZ: „Es muss unser Anspruch sein, neben einer optimalen fußballerischen Ausbildung auch die Rahmenbedingungen für die individuelle Persönlichkeitsentwicklung und -bildung aller Spieler zu schaffen.“ Im Rahmen eines Soccer-Stipendiums an der California State University in Los Angeles verbrachte er eine schöne und lehrreiche Zeit und sammelte wertvolle Auslandserfahrungen, ehe mit 23 der Schritt zum Deutschen Fußball-Bund erfolgte. 

In der Abteilung Trainerausbildung und internationale Beziehungen arbeitet Marc Hess rund sechs Jahre – bis ihn das Bedürfnis packt, wieder „näher am grünen Rasen“ zu sein. So landete Marc Hess als Leiter der Lizenzspielerabteilung bei Fortuna Düsseldorf. „Es war eine Stelle, auf die ich zu diesem Zeitpunkt gewartet hatte“, erinnert er sich und erklärt: „Eine sehr lehrreiche Zeit. Spielerverpflichtungen, Personalmanagement, Trainerentlassung – nicht zuletzt auch der Blick auf den Nachwuchs aus der Brille der Profis.“ Zurück in Berlin schließt sich Marc Hess Common Goal an – und der Fußball als Wertevermittler, den er bei seiner Tätigkeit bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Rahmen des Programms Sport und Entwicklung erstmals für sich entdeckte, rückte wieder in den Vordergrund. Als Unternehmen oder Organisation im Sport einen glaubhaften Beitrag zum Gemeinwohl leisten – für Marc Hess ein doppelter Arbeitsantrieb. So auch bei Nike, wo er vor seinem Wechsel zur Eintracht einige Monate beschäftigt war. 

Mit dem Schritt ins NLZ am Riederwald im Frühsommer 2022 erfüllt sich für Marc Hess ein schon seit längerer Zeit gereifter Wunsch – und in gewisser Weise schließt sich hierbei auch ein Kreis. „Bereits zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn verspürte ich den Drang, irgendwann wieder in ein Nachwuchsleistungszentrum zurückzukehren und mich der Talentförderung zu widmen“, so Hess, der ergänzt: „Es geht für mich zum einen darum, dem System etwas zurückzugeben, denn die Zeit im NLZ war die für mich wohl prägendste. Andererseits treibt es mich enorm an, gewisse Dinge, verglichen mit meinen Erfahrungen, besser zu machen und das Maximale herauszuholen.“ Das NLZ von Eintracht Frankfurt sei für ihn der ideale Ort, sich dieser Aufgabe anzunehmen. „In unserem Verein mit diesem tollen Einzugsgebiet und dieser Strahlkraft steckt noch so viel ungenutztes Potenzial. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, es gemeinsam zu entfalten“, sagt Marc Hess. „Wir werden alles daran setzen, dem Anspruch von Eintracht Frankfurt auch im Nachwuchs gerecht zu werden.“ 

„Wenn sich interessante Talente aus dem Rhein-Main-Gebiet für unser NLZ entscheiden, weil sie von der Qualität auf allen Ebenen überzeugt sind, sind wir auf einem guten Weg“ – Marc Hess - 

Als Leiter Strategie und Entwicklung will der 33-Jährige dieses Vorhaben nun angehen. Strukturen schaffen, Konzepte entwickeln und dabei nie das große Ganze aus dem Blick verlieren – genau darin liege die Schwierigkeit, erklärt er: „In einem NLZ, in dem mittlerweile elf Mannschaften spielen und das Tagesgeschäft sehr einnehmend ist, ist es nicht leicht, die übergeordneten Ziele und deren Erreichen im Fokus zu behalten sowie das eigene Arbeiten immer wieder kritisch zu hinterfragen. In vielen Bereichen müssen und wollen wir uns verbessern und im Schulterschluss mit den Profis unser Hauptziel erreichen – unsere Talente im Deutsche Bank Park spielen zu sehen.“ 

Um dieses Ziel erreichen zu können, müssen unzählige Rädchen, große und kleine, ineinandergreifen. Dementsprechend vielfältig und komplex ist das Aufgabengebiet, dessen sich Marc Hess seit Amtsantritt angenommen hat. Grundsätzlich gehe es ihm nicht darum, Bereiche neu zu erfinden. „Vielmehr möchte ich Rahmenbedingungen schaffen, in denen alle aus dem NLZ-Team das Optimum aus ihren Bereichen herausholen können.“ Da helfe es oft schon, an gewissen Stellschrauben zu drehen, erklärt er. Welches Thema, wann und in welchem Umfang angegangen wird, sei eine Frage der Priorisierung. „Ohne Frage ist die Infrastruktur ein großes Thema, das auf der anderen Seite aber auch ziemlich komplex ist“, verrät Marc Hess und fährt fort: „Unseren Trainern möchten wir Fortbildungsmöglichkeiten anbieten, zudem sind wir dabei, präzisere Scouting- und Transferstrukturen zu schaffen.“ 

Während des Gesprächs ist nicht nur die Leidenschaft spürbar, die Marc Hess mit seiner neuen Aufgabe verbindet, auch sprüht der frisch gebackene Vater eines Sohnes vor Tatendrang. Zu groß und zu wichtig sei Eintracht Frankfurt seiner Meinung nach, als dass man es sich leisten könne, die im Verein schlummernden Potenziale nicht auszuschöpfen. „Wir haben es in der Hand, wohin sich das NLZ künftig bewegt. Wenn sich interessante Talente aus dem Rhein-Main-Gebiet für unser NLZ entscheiden, weil sie von der Qualität auf allen Ebenen überzeugt sind, sind wir auf einem guten Weg.“ 

Text: Alessandro Crisafulli 
Foto: Leon Mathieu