„Gib ihm die blöde Uhr!“ 

Von Neapel, der Millionenstadt direkt am Meer, wurde 1994 wegen der landschaftlichen Schönheit geschwärmt. Aber es wurde auch gewarnt vor Verbrechen und Korruption, vor einer chaotischen Stadt mit überbordendem Verkehr und hitzköpfigen Süditalienern. Damals reisten die Journalisten noch direkt mit der Mannschaft. Peppi Schmitt saß im Flugzeug mit dem Team und freute sich nach einer perfekten Anreise auf schöne Tage in Neapel. Doch schon am ersten Abend sollte es anders kommen. Hier sein Erfahrungsbericht. 

Der Abend vor dem Spiel war privat, mit Freunden habe ich eine Pizzeria besucht. Dann wurde es wie in einem kitschigen Gangster-Film. Wir saßen zu viert in dieser Pizzeria, ich mit dem Rücken zum Eingang. Einer meiner Kumpels, nennen wir ihn Joachim, mir gegenüber, am Arm eine doch ziemlich auffällige Uhr. Es war eine Rolex, wie ich ein paar Minuten später erfahren habe. Hinter mir war plötzlich Unruhe, es gab Geschrei, noch bevor die Pizza auf dem Tisch stand. Über meiner Schulter lag auf einmal ein Arm, in der Hand eine Pistole. Nein wirklich, ein ganz schlechter Film. Vorsichtshalber habe ich schon mal meinen Geldbeutel auf den Tisch gelegt, man muss es mit dem Mut nicht übertreiben. Aber ums Geld ging es den Gangstern nicht, es ging um die Uhr. Ein zweiter Räuber zerrte und zoppelte an Joachims Arm, wir anderen haben nur geschrien: „Gib ihm doch endlich die blöde Uhr.“ 

Inzwischen waren die Pizzabäcker alarmiert. Zwei kräftige Italiener, „bewaffnet“ mit Baseballschlägern, sprangen über den Tresen und die Tische. So schnell die Gauner gekommen waren, so schnell waren sie wieder weg. Die Uhr allerdings auch. Und der Appetit war uns auch vergangen. Ein Überfall in Neapel, der vorher nur ein belächelter Gedanke schien, war Wahrheit geworden. 

Fast genauso aufregend, aber weniger gefährlich, ging es am nächsten Tag zu. Ins Stadion San Paolo, heute heißt es Stadion Diego Armando Maradona, wurde der Bus mit der Mannschaft von der Polizei eskortiert. Direkt dahinter fuhr der Bus mit den Medienvertretern. Davor und dahinter Polizisten auf Motorrädern. Die Straßen waren verstopft, die Anfahrt zum Spiel und der Berufsverkehr hatten im Grunde für einen völligen Stillstand gesorgt. Je näher wir dem Stadion kamen, desto weniger lief bzw. fuhr. Drei Spuren, alle drei dicht, da schien auch die Polizei machtlos. Was für ein Irrtum. „Sirene an und drauf“, war von einer auf die andere Sekunde das Motto – sportlich beschrieben war es eine Art Vorwärtsverteidigung. Der Italiener an sich lässt sich in seinem Fiat davon noch nicht aus der Ruhe bringen. Ganz lässig den linken Arm aus dem Fenster gelehnt, taten die Autofahrer so, also seien sie taub und blind. Zur Seite fahren, eine Gasse bilden, das schien nicht in Frage zu kommen. 

Doch da hatten sie die Rechnung ohne die Polizisten auf den Motorrädern gemacht. Mit der Kelle haben sie zunächst auf die Autodächer geschlagen, als das auch nichts half, wurde die Kelle kurzerhand als Schlagstock benutzt. Rumms, drauf auf den Oberarm, Unterarm, Ellbogen. Jetzt kam Bewegung in die Sache, es gab Platz, es wurde tatsächlich eine Gasse für die beiden Busse gebildet. Aus dem Bus haben einige Kollegen dieses Spektakel fotografiert. Gesehen habe ich so etwas vorher noch nie und nachher nie mehr. Was für ein Abenteuer! 

Jetzt fliegen wir wieder nach Neapel. Mein Freund Joachim wird auch wieder dort sein. Aber er ist lernfähig: Keine Rolex am Arm. Am besten überhaupt keine Uhr, man kann nie wissen ... 

Peppi Schmitt (68), seit fast fünf Jahrzehnten überwiegend als Freier Journalist tätig, war am 6. Dezember 1994 beim Gastspiel der Eintracht in Neapel vor Ort. Er wird auch im Jahr 2023 wieder dabei sein.