„Es geht mit voller Kraft voraus“

Seit über fünf Jahren ist Corinna Völker inzwischen Leiterin der Rugbyabteilung, zuvor war sie bereits viele Jahre Stellvertreterin. Auch Stefan Kuchta ist schon über neun Jahre im Vorstand, zunächst als Zeugwart, nun ebenso als Stellvertreter. Die EvM-Redaktion sprach mit beiden über die Entwicklung der Abteilung, die Rugby-WM, was sich in Deutschland verändern muss und die neue Heimat am Standort Nied.

Corinna, 1998 hast du aus der Leichtathletik kommend bei der Eintracht mit Rugby angefangen. Eine Frauenmannschaft mit regelmäßigem Ligabetrieb gab es aber erst seit 2004. Du hast jahrelang mit Männern zusammen trainiert. Wurdest du von ihnen ernstgenommen? 

Corinna: Am Anfang haben ein paar andere Frauen und ich mit der Jugend zusammen trainiert. Wir waren alle Anfänger und daher Gleichgesinnte. Außer der damaligen Trainerin Suse Wodarz hatte keiner Ahnung vom Rugby-Sport. Nach einem halben Jahr waren nur noch Silvia Heuer und ich übrig und sind zu den Männern gewechselt. Dort wurden wir geduldet, die Akzeptanz war aber nicht von allen da.  

Wie seid ihr damit umgegangen?
Corinna: 
Mich hat das angestachelt. Wenn ich merkte, dass Männer mir etwas nicht zutrauen, dann habe ich versucht, es noch besser zu machen. Mit Blick auf meine spätere Zeit in der Nationalmannschaft war das insofern gut, dass ich im Training mit den Männern die nötige Härte mitgenommen habe. 

Stefan: Viele haben heute noch Respekt vor dir. Wenn ihr früher mit dem Training fertig wart und zu einem Spiel zu uns rübergekommen seid, hieß es oft ‚Ach herrje, nicht die Corinna!‘ (lacht). 

Wie hat sich der Frauen-Rugby seit 2004 entwickelt?
Corinna: 
Ab 2004 ging es kontinuierlich bergauf. Wir stellen seitdem ohne Unterbrechung einen regelmäßigen Spielbetrieb mit einigen guten Erfolgen. So können wir Spielerinnen auch halten. Angefangen haben wir mit 7er-Rugby – und hatten gerade einmal sieben Frauen (lacht). Später kamen viele Nachwuchsspielerinnen über unsere Uni-Angebote. Mittlerweile haben wir mit 40 Spielerinnen so viele wie noch nie.  

Stefan, du bist 2008 zur Abteilung gestoßen. Wie bist du beim Rugby gelandet?
Stefan: 
Ich habe Rugbyspielen während meiner Zeit in Italien gelernt. Von Ende 2005 bis Ende 2008 war ich dienstlich in Mailand, da hat mich ein befreundeter Jugendtrainer mit zum Jugendtraining genommen. Am Tag danach bin ich mit den Schmerzen meines Lebens aufgewacht. Deshalb musste ich ein paar Wochen später wieder ins Training und bin zu den Herren gewechselt.  

Zurück in Deutschland bist du dann dem Team der Eintracht beigetreten?
Stefan: 
Genau. Übrigens spielt eines der Kinder, das mir damals bei meinem ersten Training so weh getan hat, heute für die brasilianische Nationalmannschaft. 

 

„Eine Heimat zu haben, ist ein gutes Gefühl“ – Stefan Kuchta

 

Bis Ende Oktober lief die Rugby-WM in Paris, allerdings ohne deutsche Beteiligung. Bei uns nimmt man das Turnier kaum wahr. Woran liegt das eurer Meinung nach? 

Corinna: Wenn man explizit danach sucht, findet man schon einige Berichte. Aber im Radio und in der Presse findet das Turnier nicht wirklich statt. Und das, obwohl zum ersten Mal etwa 80 Prozent der Spiele mit deutschem Kommentar im Free-TV bei ProSieben Maxx und ran.de gezeigt werden. Teilweise startet die Übertragung aus verschiedenen Gründen zwar später als der eigentliche Spielbeginn, aber es ist ein guter Schritt. 

Stefan: Von den deutschen Kommentatoren, die wir sogar selbst kennen, wird das Spiel oft noch erklärt. Rugby-Kennern gefällt das nicht so gut, aber Laien hilft es, den Sport mit der Zeit besser zu verstehen.  

Was sollte sich aus eurer Sicht in der Vermarktung des Rugby-Sports in Deutschland ändern?
Corinna: 
Meiner Meinung nach tut der Deutsche Rugby-Verband (DRV, Rugby Deutschland) zu wenig. In seinen Augen sind die Vereine dafür zuständig, wir können aber auch nur im Rahmen unserer begrenzten Möglichkeiten etwas tun. Wir wachsen zwar, aber wir sind vor allem auf die sozialen Medien angewiesen, in Zeitungen wird nur selten berichtet. Außerdem muss der Sport deutschlandweit in die Medien, nicht nur auf regionaler Ebene. Dafür sehe ich den DRV in der Pflicht. 

Lasst uns über die laufende Saison sprechen. Im 7er-Rugby der Frauen habt ihr euch für die überregionale Qualifikationsrunde qualifiziert, die 2024 stattfindet. Ist die Qualifikation traditionell das Ziel? 

Corinna: Bisher waren wir immer entweder bei den Deutschen Meisterschaften oder der Qualifikationsrunde dabei. Wir haben es noch nie geschafft, uns nicht dafür zu qualifizieren (lacht). Eines davon zu erreichen, ist unser Mindestziel. 

Die Vorrunde habt ihr als Tabellendritter abgeschlossen. Das dritte Turnier bestritten vor allem junge Spielerinnen. Welche Erfahrungen haben sie dabei gesammelt? Stefan: Ohne die alten Hasen anzutreten, hat die Jungen vorangebracht. Sie konnten sich nicht mehr hinter den anderen verstecken oder links und rechts darauf schauen, was die Erfahrenen machen. 

Corinna: Sie mussten Verantwortung übernehmen, und das haben sie getan. Wir sind stolz darauf, dank ihnen die Qualifikation geschafft zu haben.  

Mit dem 15er-Frauenteam gab es zuletzt zwei Auswärtsniederlagen. Woran lag das? Corinna: Gegen Berlin haben wir eine Führung aus der Hand gegeben. Beim 0:27 in Rottweil haben wir die erste Halbzeit deutlich verloren, in der zweiten sind nur drei der 27 Punkte gefallen. Da haben wir wesentlich besser verteidigt. Mit den Talenten, die wir auf dem Platz stehen haben, müssten wir normalerweise beide Spiele gewinnen, aber unser Team ist noch recht neu zusammengestellt, das neue Spielsystem, das unser neues Trainerteam spielen lässt, muss zunächst verinnerlicht werden. Aber das Ziel ist schon, ab jetzt jedes Spiel zu gewinnen. 

Wo stehen die Männer aktuell in der Regionalliga Hessen?
Stefan: 
Mit dem neuen Trainerduo verzeichnen wir einen positiven Trend, die Herren sind im Aufwind. Seit dem Umzug an den Standort Nied ist es uns in den vergangenen zwei Jahren gelungen, den Mannschaftskader stets zu vergrößern. 2023 zählt das Team einen erweiterten Kreis von rund 50 aktiven Spielern, davon 21 Spieler, die seit einem Jahr oder weniger bei der Eintracht Rugby spielen. Zehn von ihnen hatten vorher keinen Kontakt mit dem Sport. Der Saisonstart verlief erfolgreich. In der Auftaktpartie der Saison 2023/24 haben wir auswärts nur knapp und unglücklich mit 24:34 beim amtierenden Hessenmeister, der TG Darmstadt, verloren. Die Zielsetzung ist klar: in der Rückrunde soll ein Sieg her. Im zweiten Auswärtsspiel konnte zum ersten Mal seit Jahren ein Sieg gegen die zweite Mannschaft des Bundesligisten RK Heusenstamm errungen werden. Der 31:19- Sieg zeigt, dass die Arbeit des Trainerteams erste Früchte tragen. 

Corinna, als du die Abteilungsleitung übernommen hast, wart ihr zu viert im Vorstandsteam. Wie hat sich das Team seither verändert? 

Corinna: Florian Käppler als Finanzwart ist geblieben. Johannes Kerst ist seit Kurzem kommissarischer Jugendwart und muss bei der nächsten Abteilungsversammlung noch offiziell gewählt werden. Generell haben wir uns nach und nach mehr Leute gesucht, um die Arbeit, die anfangs auf uns vier zukam, auf viele Schultern zu verteilen. 

In einem Interview mit der Eintracht-Redaktion im Jahr 2018 hast du gesagt, dass du die Abteilung voranbringen und vor allem den Nachwuchs fördern möchtest. Was hat sich hier getan? 

Corinna: Wir haben inzwischen unglaublich viele Nachwuchsspielerinnen und -spieler. Viele Kinder kommen aus der Umgebung von Nied, die Eltern sind sehr dankbar, dass bei uns dieses Angebot besteht. Neben dem Sport geht es auch darum, ein Teamgefühl zu entwickeln und die Werte des Rugbys zu übermitteln.  

Wie macht ihr die Kinder auf euren Sport aufmerksam?
Corinna: 
Über Schnuppertrainings, unsere Nachbarschaftsfeste und die Zusammenarbeit mit vielen Schulen, Horts und Kitas. Wir holen die Kinder oft zu Aktionstagen zu uns auf den Platz, in der Regel bleiben dann ein bis zwei Kinder hängen.  

Ein weiteres Ziel damals war, die Abteilung zu modernisieren und festgefahrene Strukturen zu durchbrechen ...
Corinna: 
Das ist gelungen. Damals gab es nur eine Herrenmannschaft, die alleine vom Abteilungsleiter organisiert wurde, ein Frauenteam gab es nicht. Mittlerweile läuft alles strukturierter. Wir stellen zum Beispiel zu Jahresbeginn eine Berechnung der Kosten der einzelnen Teams auf und schauen dann, wie wir das Budget aufteilen. Aber all diese alten Strukturen im Verband aufzubrechen, ist sehr schwer. Die Akzeptanz, dass eine Frau Abteilungsleiterin und Ansprechpartnerin ist, muss noch größer werden.  

Stefan: Dabei profitieren bei uns auch die Männer in vielerlei Hinsicht von der etablierten und erfolgreichen Frauenmannschaft.

Ein großer Traum war auch, mit der Rugbyabteilung eine Heimat zu finden und sesshaft zu werden. Diese habt ihr mit dem Standort Nied nun gefunden? 

Stefan: Absolut. Es fängt schon mal damit an, dass wir dort nicht mehr dauernd suggeriert bekommen, nur Gast zu sein. Davor haben wir etwa alle zwei Jahre die Spiel- und Trainingsstätte geändert, vor jedem Spiel Fußballtore ab- und Rugbytore aufgebaut, die wir im Anschluss wieder wegräumen mussten. Jetzt wissen wir: Die Stangen und alles, was wir zum hundertsten Mal aufbauen, bleiben stehen. Das ist ein gutes Gefühl.  

Mit Blick auf die nächsten 100 Jahre Ein- tracht-Rugby: Was wünscht ihr euch für die Zukunft?
Corinna: 
Wir möchten perspektivisch in jeder Altersklasse eine eigenständige Mannschaft stellen können, ohne Spielgemeinschaften eingehen zu müssen. Dieses Ziel muss man aber über Jahre verfolgen. Ein zweites wäre, dass die 15er-Bundesliga-Mannschaft der Frauen zu einer reinen Eintracht-Mannschaft wird. Mit dem Adler auf der Brust zu spielen, war schon mein Ziel, als ich hier angefangen habe. 

Stefan: Bei den Männern möchten wir das Team stabilisieren. Mit dem neuen Trainer, den wir seit dieser Saison haben, stehen die Vorzeichen hierfür sehr gut. Die Breite des Kaders passt ebenso, obwohl wir nach Corona einige Schwierigkeiten hatten, die Mannschaft aufrechtzuerhalten. Zum Glück kommen jetzt auch einige Eigengewächse nach. 

Corinna: Wir freuen uns außerdem über jede Weiterentwicklung des Standorts. Ein weiterer Trainingsplatz wäre gut, da der Rasen neben unseren Teams auch von Schulen intensiv genutzt wird und nach kurzer Zeit dementsprechend aussieht. Ebenso das Flutlicht könnte noch verbessert werden und heller sein. 

Stefan: Aber wir haben heute schon mal eine Basis, die wir nicht mehr verlieren. Ab jetzt geht es mit voller Kraft voraus.