Ins Amt geschubst
Es ist der Tag, der aus heutiger Sicht die Eintracht-Welt nachhaltig veränderte. Am 26. Juli 2000 wird ein 44 Jahre zuvor im mittelhessischen Lich geborener Unternehmer zum Präsidenten von Eintracht Frankfurt gewählt – auf einer Sitzung mit sieben (!) Teilnehmern. Wie kam es dazu, wie sah damals die (Eintracht-)Welt aus und was waren Fischers erste Herausforderungen? Ein Blick zurück in den Spätsommer vor 24 Jahren.
Der DAX liegt am Mittwoch, 26. Juli 2000, bei 7.297 Punkten, die FAZ kehrt nach einem Jahr Praxis mit der Rechtschreibreform zu den alten Regeln zurück und Stefan Effenberg stellt klar, dass er nicht mehr in die Nationalmannschaft zurückkomme. Letzteres bewegt die Welt jetzt nicht sonderlich. Viel mehr trauert man am 26. Juli 2000 um mehr als 100 Menschenleben, die die Concorde-Katastrophe in Paris am Tag vorher gekostet hatte.
Die Meldung, dass Peter Fischer Präsident von Eintracht Frankfurt wird, ist am Tag danach keine große Nummer. Anders als 24 Jahre später bestimmt diese Personalie nicht die Schlagzeilen. Fischer ist als Werbekaufmann und Unternehmer tätig gewesen, hatte einen Zweitwohnsitz auf Ibiza, war bereits im Wahlausschuss tätig, ist seit fast 20 Jahren Mitglied, war bekannt – aber noch nicht wie ein bunter Hund. Dabei war er einige Jahre zuvor schon mal als Präsident gehandelt worden. Letztlich wurde Rolf Heller gewählt.
Dieser trat Ende Januar 2000 nach knapp vier schwierigen Jahren an der Spitze zurück und sagte darüber später: „Ich wollte damals eine Spaltung des Vereins verhindern. Zudem war ich mir nicht 100-prozentig sicher, ob ich den Herausforderungen noch gewachsen bin.“ Er appellierte noch, neue sportliche und wirtschaftliche Wege zu gehen. Die Eintracht stand zu jener Zeit vor dem Konkurs, Heller im Mittelpunkt der Kritik.
Peter Fischer hatte unterdessen ein großes Netzwerk, sollte mit zwei, drei anderen Leuten zusammen einen Heller-Nachfolger finden. Die Suche verlief im Nichts. Seine Mitstreiter schlugen ihn vor, mit einigen verlockenden Argumenten wurde er geködert (siehe Interview mit Fischer auf Seite 15). Auf der außerordentlichen Verwaltungsratssitzung am 26. Juli 2000 wurde Fischer von den sieben Teilnehmern, wie dem Protokoll zu entnehmen ist, „in einem schriftlichen Abstimmungsverfahren mit der erforderlichen Mehrheit“ gewählt. Der Wahlausschuss stimmte ebenfalls zu. Erst später wurde in der Satzung verankert, dass die Mitgliederversammlung den Präsidenten wählt.
Juli 2000: Führungskrise, sportliche und finanzielle Probleme, 4.700 Mitglieder, acht Mitarbeiter
Die Führungskrise war damit zwar beendet, die Liste an Baustellen jedoch lang. Die Infrastruktur des Vereins lag brach, acht Mitarbeiter hielten am maroden Riederwald die Fahne hoch, finanziell sah es düster aus. Die Eintracht hatte folgerichtig nicht die gesellschaftliche Bedeutung wie heute. Nicht mal 5.000 Mitglieder waren registriert – zum Vergleich: Der FC Bayern München zählte damals schon fast 100.000 Mitglieder.
Dazu kam die sportliche Situation. In den beiden vergangenen Spielzeiten hatte sich die Eintracht jeweils erst am letzten Spieltag gerettet, gegen Kaiserslautern 1999 unter Jörg Berger im ersten Jahr nach dem Wiederaufstieg und gegen Ulm 2000 unter Felix Magath. Aus schier aussichtsloser Position hatte der gebürtige Aschaffenburger, als Spieler mit dem HSV Europapokalsieger 1983, die Eintracht noch zum Klassenerhalt geführt.
Dass Magath am Tag der Wahl von Peter Fischer als Trainer von Eintracht Frankfurt seinen 47. Geburtstag feierte, freute die Eintracht-Familie nur kurz. Denn im Trainingslager in Tirol gibt’s eine 1:5-Niederlage gegen den PAOK FC. Hier schließt sich für Fischer fast der Kreis, denn auch eine der letzten Partien in seiner Amtszeit bestritt die Eintracht im vergangenen November gegen den griechischen Vertreter. Die anschließende Spielzeit 2000/01 sollte nicht besser werden, am Ende stieg die Eintracht zum zweiten Mal in die Zweite Bundesliga ab.
60 Stunden pro Woche habe Fischer in der Anfangsphase für den Verein gearbeitet, berichtet er, seinerzeit meist braungebrannt und mit längeren Haaren ausgestattet. Mit welchen Visionen er antrat, hatte er auf seiner ersten Pressekonferenz am 2. August 2000 verlauten lassen und in drei Zielen formuliert: „Der Verein soll 10.000 Mitglieder haben, es muss ein neues Trainingszentrum am Riederwald entstehen und ich möchte eine starke Verzahnung vieler Sportarten hin zu einem Mehrspartenverein, weil ich uns auch als Bürgerinitiative sehe.“ Am nächsten Tag habe in der Presse gestanden, dass „der naive, blauäugige Blonde lieber wieder surfen“ gehen solle. „Ich hielt diese Vorhaben für richtig und logisch. Ich hätte allerdings nie gedacht, dass die Aufgaben so komplex und vielfältig werden.“
Sei’s drum, denn aus heutiger Sicht kann festgehalten werden, dass all diese Ziele erreicht wurden. Die Mitgliederzahl hat sich um das mehr als 25-fache gesteigert, der Riederwald wurde grundlegend erneuert und der Mehrspartenverein bietet heute Aktiven in mehr als 50 Sportarten eine Plattform. „Von der Breite in die Spitze“ ist das Motto, das auch durch Peter Fischers Wirken Einzug gehalten hat und so noch heute gelebt wird. Wichtig ist dem 67-Jährigen seit jeher jede Abteilung, gerne nahm er hier über viele Jahre so viele Einladungen wie möglich wahr und ehrte verdiente Mitglieder persönlich.
Er fungiert als eine „Art Scharnier zwischen Basis und Klub“ (Zitat hessenschau.de), steht für Werte ein (siehe Seiten 28/29), die er kompromisslos verteidigt, und stellte den Verein sportlich und wirtschaftlich auf gesunde Beine. Den Meilensteinen in diesen 24 Jahren widmet die Redaktion ein eigenes Kapitel (ab Seite 30). Viele waren dabei eine Herzensangelegenheit oder von größerer Bedeutung für den Präsidenten. Knackige Aussagen dahingehend („ich will heute Abend unbedingt aus diesem Pokal saufen“ und viele mehr) verdeutlichen, wie emotional verbunden Fischer diesem Verein ist und wie sehr auch er sich nach einem Titel sehnte. Als es 2018 endlich so weit war, ließ auch er seinen Gefühlen freien Lauf. Am 20. Mai jenes Jahres stand ein überglücklicher Peter Fischer mit DFB-Pokal auf dem Römer. Das Bild des strahlenden Präsidenten mit Pott auf dem Balkon wurde von den Fans zehntausendfach auf Aufkleber (zwei Motive, schwarzweiß und Farbe) gedruckt, klebt heute in der ganzen Welt – und ziert das Cover dieser ganz besonderen EvM-Ausgabe.
Die erste Wegmarke hatte Fischer am 11. Dezember 2000 gesetzt, als rund ein Vierteljahr nach seinem ersten Arbeitstag engagierte Fans mit Hilfe des Präsidiums die Fan- und Förderabteilung gegründet hatten. Diese sollte fortan unter dem Motto „Jetzt schlägts 13“ als 13. Abteilung des Vereins für Furore sorgen.
Apropos Fans: Die Saison 2001/02 in der Zweiten Bundesliga endete mit Rang sieben enttäuschend, nie seit Gründung der Bundesliga waren weniger Menschen zur Eintracht gepilgert. 13.388 Zuschauer betrug der Schnitt, heute kaum vorstellbar. In diese Tristesse hinein fiel das „Ende“ des alten Waldstadions. Mit einem Spiel zweier Traditionsmannschaften verabschiedete sich die SGE vom alten Stadion, am gleichen Tag endete das letzte Pflichtspiel der Profis gegen den SV Babelsberg 03 mit 1:1. Eine Woche später kamen die Bagger, um das Stadion nach und nach umzubauen für die WM 2006.
Die sportliche Tristesse liegt mittlerweile hinter der Eintracht, der Deutsche Bank Park ist heute regelmäßig ausverkauft. Einen neuen Zuschauerrekord für das Frankfurter Stadion in der heutigen Form erlebte Fischer Ende 2023, als 58.000 Menschen das Heimspiel der Eintracht gegen Stuttgart verfolgten. Ob er da an das letzte Spiel im Waldstadion gegen Babelsberg gedacht hat? Das wollten damals 8.500 Zuschauer sehen. Es war eine andere Zeit am 5. Mai 2002.
Mehr als zehnmal so viel Tage (8.595) liegt der 26. Juli 2000 zurück, wenn Peter Fischer am 5. Februar nicht mehr zur Wahl des Präsidenten antritt. Die Schlagzeilen am 6. Februar werden allerdings üppiger ausfallen als am 27. Juli 2000. Nicht nur weil er die drei Ziele, mit denen er vor 24 Jahren gestartet ist, locker erreicht hat.