„Ich spiele einfach und habe Spass“
Im Alter von 16 Jahren wird sie U17-Europameisterin, gibt mit 17 ihr Bundesligadebüt und erhält mit 19 die Fritz-Walter-Medaille. Mit 21 Jahren sammelt Lisanne Gräwe aktuell einiges an Spielzeit im Team von Niko Arnautis, hat ihren Vertrag bis 2027 verlängert und schielt in Zukunft auch Richtung Nationalmannschaft.
„Auf so eine Art und Weise wünscht sich das natürlich niemand“, gibt Lisanne Gräwe zu. Durch den Kreuzbandriss von Tanja Pawollek ist die 21-Jährige besonders in den Fokus gerückt. Den frei gewordenen Platz im Mittelfeld hat sie als neue Stammkraft übernommen. Überzeugen konnte sie aber im Grunde seit ihrem Wechsel im Sommer von Leverkusen nach Frankfurt. Mit 65,5 Prozent war die 1,62 Meter große Mittelfeldspielerin die beste Eintracht-Zweikämpferin der Hinrunde, in der UEFA Women’s Champions League zählte sie sogar zu den besten Zweikämpferinnen des gesamten Wettbewerbs. Die ehemalige U-Nationalspielerin nimmt diese Zahlen und das Lob, das sie aktuell erreicht, locker: „Das passiert einfach, wenn ich auf dem Feld bin. Es ist schön, viele Zweikämpfe zu gewinnen.“
Ein Satz, der für die Leichtigkeit steht, mit der die 21-Jährige ihren Weg zu gehen scheint. Die Mutter Hobby-Handballerin, der Vater Fußballtrainer, die beiden Brüder im Geburtsort Rheda-Wiedenbrück nahe Gütersloh im Fußballverein aktiv, dauerte es nicht lange, bis auch Lisanne die Fußballschuhe schnürte. „Das war einfach eine mega coole Zeit, mit all meinen Freunden aus der Nachbarschaft im Dorfverein zu kicken.“ Dass sie schon damals im Mittelfeld auflief, habe sie ihrem Bruder zu verdanken, erzählt Lisanne mit einem Augenzwinkern. „Früher wollte ich unbedingt Torhüterin sein. Irgendwann hat mein Bruder zu mir gesagt: ‚Du fällst... Bahnschranke‘. Ab da war mein Traum als Torhüterin geplatzt.“ Bei den Jungs konnte sich Lisanne bis in der C-Jugend- Mannschaft des SC Wiedenbrück in der Verbandsliga beweisen. Parallel machte sie bereits in den deutschen U-Nationalteams auf sich aufmerksam.
Fragt man Lisanne nach ihrem bisherigen Karrierehighlight, kommt ohne langes Zögern: „Die U17-Europameisterschaft 2019. Niemand von uns hätte damit gerechnet, dass wir den Titel holen würden.“ Und das denkbar dramatisch im Elfmeterschießen gegen die Niederlande, unter anderem an der Seite von Jule Brand (heute VfL Wolfsburg) und Carlotta Wamser (ehemalige Teamkollegin bei der Eintracht). Selbst im Elfmeterschießen angetreten war die mittlerweile 49-fache U-Nationalspielerin aber nicht. „Ich habe ganz ehrlich gesagt: Nein, das kann ich nicht. Ich war völlig fertig und am Ende mit den Nerven. Man muss sich dafür bereit fühlen, das habe ich damals noch nicht.“
Erst kurz darauf, mit 16 Jahren, wagte Lisanne den Sprung in die U20 des VfL Wolfsburg. Raus aus dem Jungs-, rein in den Frauenfußball. „Der Anfang war schwer, ich war auf mich alleine gestellt, der Leistungsdruck war plötzlich da, den habe ich bei den Jungs nie so gespürt.“ 33 Zweitliga-Spiele absolvierte Gräwe für den VfL, mit 17 Jahren folgte im September 2020 ihr Bundesligadebüt gegen Hoffenheim. So richtig gepasst hat es für Lisanne in Wolfsburg aber nie. „Ich habe in der ersten Mannschaft trainiert, in der Zweiten gespielt, war gefühlt in keinem Team so richtig. Ich habe keine Perspektive gespürt und wollte ehrlich gesagt einfach weg und neu anfangen.“
Dieser Neustart gelang bei Bayer 04 Leverkusen ab Sommer 2021. „Mein Ziel war es, mich in der Liga zu etablieren. Dass ich so schnell zur Stammspielerin werden würde, hätte ich nicht gedacht. Auf dem Papier ist der Wechsel von Wolfsburg nach Leverkusen vielleicht ein Rückschritt gewesen, für mich war es aber das einzig Richtige.“ Gekrönt wurde ihre Zeit in Leverkusen 2022 mit der Fritz-Walter-Medaille in Gold, der höchsten individuellen Auszeichnung für eine Nachwuchsfußballerin. „Ich war sehr glücklich und dankbar, dass sich auszahlt, was ich investiere. Vor allem aber war die Auszeichnung ein Push, immer weiterzumachen.“ Und so folgte im Sommer 2023 schließlich der nächste Schritt zur Eintracht.
„Ich habe mich noch nie in einem Verein so schnell so wohlgefühlt. Sowohl die Fankulisse als auch so einen Teamspirit habe ich vorher noch nirgendwo erlebt“, beschreibt Lisanne ihre ersten Monate am Main. Entsprechend schnell habe sie sich auch in ihrer neuen Heimat Frankfurt eingelebt. Ein halbes Jahr, das schon jetzt gespickt von Highlights war. „Dass wir mit Frankfurt gegen Barcelona, das beste Team der Welt, spielen konnten, war definitiv etwas ganz Besonderes. Ich hatte einfach Spaß auf dem Platz. Schon im Hinspiel habe ich Aitana Bonmatí von der Bank aus beobachtet. Das sieht alles so leicht aus, was sie macht.“
Sich von den Großen etwas abschauen sei etwas, was sie
oft mache. „Ich schaue mir regelmäßig YouTube-Videos von Jude Bellingham,
Iniesta oder Toni Kroos an. Und dann versuche ich, es nachzumachen. Nur so wird
man auch besser.“
Immer besser will sie auch in den kommenden drei Jahren in Frankfurt werden, ihren Vertrag hat sie frühzeitig bis 2027 verlängert. An manchen Stellen wird zudem bereits gemunkelt, dass die A-Nationalmannschaft nicht mehr allzu weit entfernt sein könnte. Doch auch da bleibt Lisanne Gräwe gewohnt locker: „Die A-Nationalmannschaft ist ein Traum jeder Spielerin. Aber ich will nichts überstürzen. Jetzt will ich erstmal die Spielzeit in Frankfurt aktuell so gut wie möglich nutzen. Ich bin ja noch jung.“