Oka durchs Gebüsch gescoutet


„Das hält mich jung!“ Das ist die ziemlich einfache Antwort von Reinhard Knobloch darauf, warum er im Alter von 76 Jahren noch nicht ans Aufhören denkt. Als Torwarttrainer in der Fußballschule ist er fester Bestandteil im Team von Leiter Karl-Heinz Körbel, so auch in diesen Osterferien. Wie der Rekordbundesligaspieler, sein Onkel aus Frankfurt, Oka Nikolov, Moppes Petz und ein Jugendturnier mit ihm als Trainer vor 20.000 Zuschauern das Leben von Reinhard Knobloch beeinflussten. 


Ende März in Nieder-Eschbach. Training der Eintracht Frankfurt Fußballschule im Rahmen der Ostercamps. Zwölf Torhüter haben sich versammelt, warten auf ihren Einsatz. Genauer gesagt auf ihren Trainer, der mit ihnen den ganzen Tag auf dem Rasen verbringen wird. Aus der Kabine kommt Reinhard Knobloch, den alle nur Knobi rufen. Wie immer mit einem Lächeln auf den Lippen, denn Knobi hat einfach Spaß an dem, was er an diesem Tag wieder tun wird: Junge Torhüter anleiten. Reinhard Knobloch ist 76 Jahre alt, ans Aufhören denkt er nicht. „Knobi ist fester Bestandteil unserer Fußballschule. Wir freuen uns, dass er zu unserem Trainerteam gehört. Er hat viel Spass mit den Kids und die Kids mit ihm“, sagt Karl-Heinz Körbel, der Knobi schon seit vielen Jahren kennt. 

Rückblende. Von Dinkelsbühl in die große weite Welt. Reinhard Knobloch zieht nach seiner Ausbildung zum Konditor bei der Bundeswehr zu seinem Onkel, der das Café Knobloch an der Hanauer Landstraße in Frankfurt besitzt. Das war im Jahr 1966, Knobi ist zarte19 Jahre alt und sollte das Café übernehmen. Zwei Jahre später schließt er sich dem FSV Frankfurt an, bei dem er zunächst Betreuer wird. „Mädchen für alles“, wie er selbst seine damalige Funktion bezeichnet. Da wusste er noch nicht, welch‘ blühende Fußballzukunft er doch hat. 

 

Milch für die Trainer, Einheiten im Wechsel mit Moppes Petz. 

 

Über 20 Jahre lang verbringt Knobloch beim FSV Frankfurt, ehe Eintrachts früherer Jugendleiter und Vizepräsident Klaus Lötzbeier ihn überzeugt, ein paar Meter weiter an den Riederwald zu wechseln. „Ich wollte nie zur Eintracht. Beim FSV habe ich mich wohlgefühlt. Klaus hat mich überredet“, betont der heute 76-Jährige. „Es war entweder 1990 oder 1991, da sagte Klaus zu mir, dass Charly als Profispieler bei der Eintracht aufhört und er die A-Jugend als Trainer übernehmen soll. Sie sagten zu mir, dass sie jemanden brauchen, der sich in der Jugend auskennt, der Charly als Co-Trainer unter die Arme greift.“ Knobloch ist in der Folge eine wichtige Stütze der Jugendarbeit der Eintracht, hat einige Spieler in den 1990er Jahren unter seinen Fittichen, die später Profispieler werden sollten: Erol Bulut, Michael Anicic, Thomas Sobotzik, Michael Guht, Jens Rasiejewski und Thomas Reis sind nur einige bekannte Beispiele. 

 

Und er erlebt tolle sowie kuriose Dinge. Dazu gehört das traditionsreiche Jugend-Hallenturnier in Sindelfingen. „Wir haben im Finale den VfB Stuttgart bezwungen. Krisztián Lisztes wurde dort zum Spieler des Turniers ausgezeichnet, er wechselte daraufhin direkt zum VfB. Die Eintracht hatte damals einen Mannschaftsbus von Setra. Da bis heute Mercedes der Namensgeber des Turniers ist, mussten wir die Marke bei der Anreise überkleben.“ Es gebe aber noch unzählige andere schöne Momente. „Die Reise nach England zum Beispiel, zu einem großen Jugendturnier des Sunderland FC. Wir haben klasse gespielt, verloren aber das Finale gegen Inter Mailand mit 0:1, obwohl wir die bessere Mannschaft waren. Die Fans machten für uns eine Laola-Welle durch das Stadion, als wir geehrt wurden. Die Mailänder wurden bei der Siegerehrung ausgepfiffen, von 20.000 Zuschauern. Das werde ich bis heute nicht vergessen.“ 

 

Bis in die frühen 2000er Jahre ist es üblich, dass Fußballvereine keine eigenständigen Torwarttrainer haben. Es wird in der Regel gemeinsam mit den Feldspielern trainiert. „Ich dachte mir schon damals, dass die Torhüter mitunter die wichtigsten Spieler auf dem Feld sind. Da musste ich was machen“, erzählt Knobloch, der die ersten Schritte als Torwarttrainer bereits Mitte der 1970er Jahre machte und dies mit zunehmender Zeit ausweitet – qualitativ und quantitativ. „Ich habe mir Übungen einfallen lassen, gerne auch an außergewöhnlichen Orten. Die besten Übungen fallen mir noch heute in der Badewanne ein,“ gibt Knobloch sein Erfolgsgeheimnis preis. 

 

Obwohl der knapp 1,70 Meter große Reinhard Knobloch nie eine Torwartkarriere hingelegt hat, so hat er doch den einen oder anderen bekannten Keeper hervorgebracht. BVB-Legende Roman Weidenfeller hat er ebenso trainiert wie Oliver Reck, und dann ist da die Geschichte mit Oka Nikolov. „Karsten Kusch war Jugendnationaltorwart bei der Eintracht. Mit dem FSV haben wir gegen Oka gespielt, er war zu seiner Zeit noch bei Darmstadt 98 zwischen den Pfosten. Oka ist mir sofort aufgefallen, er war die Ruhe in Person. 

 

Nach einigen Spielen gegen ihn begann ich ihn zu beobachten. Heimlich. Ich fuhr nach Darmstadt und schlich mich ans Trainingsgelände von 98, stand hüfthoch mitten im Busch, mich durfte keiner sehen. Oka hat ein Tor nach dem anderen kassiert, doch er hakte die Situationen ab, stand immer wieder auf und hat sich konzentriert. Er ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Andere Torhüter treten nach Gegentoren gegen den Pfosten oder regen sich auf. Doch Oka war in seinem Element und vor allem verdammt stark mit dem Fuß am Ball. Diese Ruhe und Gelassenheit haben mich schon damals an ihm fasziniert.“ 

 

Knobloch bleibt am jungen Odenwälder mit mazedonischen Wurzeln dran. „Bei der Hessen-Auswahl erfuhr ich, dass der 1. FC Köln Oka holen wollte. Das konnten wir nicht zulassen. Charly und ich haben Oka schließlich zu Eintracht Frankfurt geholt.“ Nikolov wurde daraufhin zu einer festen Größe bei den Adlern, hütete den Kasten von 1994 bis 2013, davor schon in der Jugend und bei den Amateuren. „Vor jeder Trainingseinheit habe ich eine Stunde nur mit den Torhütern trainiert. Ich habe Oka nicht nur Bälle draufgedroschen, sondern ihm eine Bleiweste angezogen. Am Anfang ohne Gewicht, später dann mit Gewichten. Zwei Kilo, vier Kilo, am Ende trug er 20 Kilo. Er musste dann hochspringen. Ich habe die Bälle immer Richtung Latte geworfen und Oka musste sie samt Zusatzgewicht abwehren. Dadurch hatte er eine enorme Sprungkraft.“ Jene besagte Bleiweste findet man heutzutage noch im Eintracht-Museum. 


Als Knobloch 1985 als Konditor aufhört, möchte er zurück nach Dinkelsbühl ziehen. „Ein Milchhändler hat mich angesprochen und von heute auf morgen arbeitete ich für eine Molkerei in Frankfurt und fuhr Milch aus. Davon profitierte später dann auch die Fußballschule, in deren Anfangszeit. Den Trainern habe ich immer frischen Kakao, Milch und Joghurt mitgebracht. Ich weiß noch ganz genau, als ich vormittags Milch ausgeliefert habe und nachmittags Kids trainiert habe. Moppes Petz war zu der Zeit auch in der Fußballschule, bei ihm war es genau umgekehrt: Er trainierte vormittags und arbeitete nachmittags. Wir sprachen uns dann immer ab, wer welche Übung macht.“

 

Die Eintracht Frankfurt Fußballschule gibt es mittlerweile seit über 20 Jahren, und noch
immer steht Knobloch auf dem Platz. Ans Aufhören denkt er noch lange nicht. Zu intensiv sind seine Verbindungen zum geliebten Fußball. „Es hält mich jung. Wenn ich aufstehe, freue ich mich auf die Camps. Es macht mir sehr viel Spaß. Ich mache das auch nicht des Geldes wegen. Durch die Fußballschule merke ich nicht einmal, dass ich schon 76 Jahre alt bin. Einen Verein zu trainieren wäre heutzutage allerdings undenkbar für mich. Wichtig ist, dass die Kids, die bei den Camps dabei sind, sich verbessern wollen. Gerade den Jüngsten kannst du etwas beibringen und sie ein Stück weit formen.“ 

Am Beispiel Michael Anicic macht er deutlich, welche Schwierigkeiten er im deutschen Fußball sieht. Der heute 49-Jährige wurde mit Eintrachts U19 Deutscher Meister, später spielte er bei den Profis. „Wir haben zu viel Schema, zu viel Geradlinigkeit im deutschen Fußball. Nehmen wir Micha. Ich habe ihn selbst trainiert, er war ein Fummler, wollte ständig nur schnicken. Heute lechzen wir nach diesen Spielertypen, aber genau sie bekommen diese Freiräume nicht mehr.“ Bei den Trainingsmethoden geht Knobloch mit der Zeit, verteidigt aber auch Ansätze aus früheren Tagen. „Wir haben den Jungs damals Stulpen über die Beine gezogen, immer auf den vermeintlich schwächeren Fuß. Welchem Zweck sollte das dienen? Die Spieler durften dann nur mit dem Fuß spielen, der diese Stulpe hatte. Damit trainierten wir die Beidfüßigkeit. Es hat sich bezahlt gemacht.“ 

 

Welche Ratschläge hat er für die Nachwuchskicker, die die Camps der Eintracht besuchen? „Es ist wichtig, dass sie immer dranbleiben und nicht wegrennen. Es wird immer Höhen und Tiefen geben. Auch wenn sie die Nummer zwei in ihrem Verein sein und auf der Bank sitzen sollten. Man darf nicht verzweifeln, sondern muss ruhig bleiben, auch wenn man nicht spielt. Es ist wichtig, gerade dann im bekannten Umfeld zu bleiben und auf seine Qualitäten zu vertrauen.“ 

 

Seine Tipps sind auch dieser Tage wieder gefragt, bei den Ostercamps der Eintracht Frankfurt Fußballschule. „Auf geht’s, legen wir los“, ruft Knobi seinen Torhütern zu, ehe die Einheit in Nieder-Eschbach beginnt.