Kampf um Gerechtigkeit

Newroz Duman ist Aktivistin und Vertreterin der „Initiative 19. Februar“ aus Hanau. Seit dem rassistischen Anschlag am 19. Februar 2020, bei dem neun Menschen ihr Leben verloren, kämpft sie mit den Opferfamilien für Aufklärung und Gerechtigkeit. Die „Eintracht vom Main“-Redaktion hat mit ihr über den aktuellen Stand und die besondere Verbindung zur Eintracht gesprochen. 

 

Newroz, der 19. Februar ist jetzt mehr als vier Jahre her. Erzähl doch bitte erst einmal, wie die Initiative zustande kam und was ihr macht ... 

Die Initiative 19. Februar Hanau ist nach dem rassistischen Terroranschlag entstanden. Man kann es grob in Öffentlichkeitsarbeit, Erinnerungskultur und Lobbyarbeit aufteilen. Das sind die drei Hauptaugenmerke. Wir sind ein Zusammenschluss aus Aktivisten und Angehörigen und haben gemeinsam am ersten Tatort einen Raum eröffnet. Der Raum heißt seitdem „140 Quadratmeter gegen das Vergessen“. Wir haben ihn einen Monat nach dem Anschlag eröffnet, um einen Ort zu schaffen, an dem Menschen zusammenkommen können. Nach dem Terroranschlag fing sofort die Pandemie an und die Familien waren komplett auf sich allein gestellt. Es war klar, es 

 

braucht einen Ort, der niederschwellig und immer erreichbar ist. Aber das ist nur ein Teil, wir haben die Familien juristisch unterstützt, beispielsweise wegen des nicht funktionierenden Notrufs in der Tatnacht oder der abgeschlossenen Notausgangstür in der Arena Bar und wir haben den Untersuchungsausschuss im Landtag entsprechend gefordert und begleitet. Außerdem haben wir natürlich viel Öffentlichkeitsarbeit betrieben, auch um den öffentlichen Druck auf die Politik und die Ermittlungsbehörden hochzuhalten. Von Anfang an war uns dabei aber auch wichtig, dass wir die Namen der Opfer sagen und die Opfer in den Vordergrund stellen – nicht den Täter. Das kannten wir von anderen Initiativen, daher kam es relativ schnell zu „Say their names“. 

 

Wie sieht eure Arbeit heute aus? 

Wir sind fünf Tage die Woche in der Initiative, wo man uns besuchen kann. Wir betreiben Öffentlichkeitsarbeit und haben bundesweite Anfragen zu Tagungen oder Konferenzen, von unterschiedlichen Vereinen, Schulen oder Unis. Wir werden angefragt für Interviews, Projekte oder Abschlussarbeiten. Damit haben wir nach wie vor sehr viel zu tun, was schön ist, weil die Leute nicht vergessen. Dann gibt es zwei Betroffene, die Bücher geschrieben haben, Çetin Gültekin und Said Etris Hashemi. Wir unterstützen sie bei Veranstaltungen, es gibt aber zum Beispiel auch ein dokumentarisches Theaterstück über die Tatnacht, „And Now Hanau“ heißt es, oder eine Ausstellung namens „Three Doors“. Wir arbeiten weiter an juristischer Gerechtigkeit, beispielsweise wegen des nicht erreichbaren Notrufs. 

 

Das klingt nach sehr viel Arbeit und unfassbar viel Engagement. Wie geht es denn den Familien heute?
Es ist auf jeden Fall sehr unterschiedlich. Ich arbeite sehr eng mit den Menschen zusammen, ich kann nur von meinen Beobachtungen berichten. Es ist wirklich krass, wie enttäuscht die Menschen von der Politik sind. Als der Anschlag passiert ist, gab es viele Versprechen – heute ist davon leider nichts zu sehen. Ich finde es persönlich unglaublich stark, wie diese Menschen, die so eine schlimme Tat erlebt haben, ihre Liebsten aus dem Nichts verloren haben, für Aufklärung kämpfen und dafür, dass das in dieser Gesellschaft nicht noch einmal passiert. Wenn es etwas gibt, was sie verbindet, ist es dieser Kampf um Gerechtigkeit. Und dass alle immer wieder sagen, wir machen diese Arbeit nicht, damit wir unsere Kinder zurückkriegen, sondern dass andere Menschen für ihre Kinder nicht die gleichen Schmerzen erleben müssen – und dafür braucht es strukturelle Veränderungen. 

 

 

Jetzt wart ihr zumindest mit Teilen der Opferfamilien beim gegen den FC Augsburg im Stadion. Wie war das für euch, wie habt ihr das erlebt? 

Bei der Eintracht zu sein, ist sehr besonders. Es gibt solche und solche Solidarität. Es gibt Solidarität, die bei der Symbolik bleibt, und es gibt Solidarität, die sehr auf Kontinuität und wirkliches Verstehen und Ernstnehmen baut. Letzteres ist bei Eintracht Frankfurt der Fall. Peter Fischer war immer wieder hier vor Ort, hat mit den Menschen gegessen, geweint und gelacht, sie ernst genommen und er kennt sie beim Namen. Er ist einer, der immer wieder auf die Familien zukommt, sie einlädt und sagt: „Wir haben euch nicht vergessen“, das ist sehr wertvoll. Auch wenn der Besuch im Stadion sehr kurzfristig war, war es stark. Das Gefühl war überwältigend. Diese 90 Minuten mitzufiebern, mitzubrüllen, aufzustehen, enttäuscht zu sein, wenn kein Tor fällt. Für einen kurzen Moment mit etwa 60.000 Menschen gemeinsam zu fühlen, woanders zu sein, war ein sehr besonderer Moment. Es war natürlich auch besonders, weil wir gewonnen haben. 

 

Du hast ja schon erwähnt: Es gab bei der Eintracht unterschiedliche Aktionen, um der Opfer zu gedenken. Was bedeutet das den Familien und allen, die mit der Initiative verbunden sind. Wie hilft euch das? 

Das hilft sehr. Dieser Kampf um Gerechtigkeit ist sehr ermüdend und enttäuschend. Wir versuchen aber nicht aufzugeben, die Solidarität ist es, was die Menschen aufbaut und ihnen Kraft gibt weiterzumachen. Wenn wir die Solidarität nicht hätten, von der Eintracht und auch aus der Zivilgesellschaft, wären wir nicht da, wo wir heute sind. Die Gesellschaft können wir nicht alleine verändern. Dazu gehören die, die ins Stadion gehen. Dazu gehören die, die Fußball spielen. Dazu gehören alle. Wir können nur gemeinsam etwas verändern. 

 

 

Du hast Peter Fischer genannt, mit ihm besteht eine ganz besondere Beziehung. Erzähl‘ mal ...
Zum ersten Mal aufgetreten ist er ja bei der Kundgebung sechs Monate nach dem Anschlag – mit einem Eintracht-Banner gegen Rechtsextremismus, Homophobie und so weiter. Dieses Bild von Peter auf der Bühne hat sich eingebrannt. Er stand auf der Bühne, hielt eine krasse Rede und hinter ihm standen Überlebende, Freunde der Überlebenden, Familienangehörige. Er hat das richtige Gespür bewiesen – und vor allem ist er drangeblieben. Er war nicht nur am Jahrestag, sondern auch so mal da. Es gab unterschiedliche Aktionen der Eintracht, er steht für die Sache ein. Er ist ganz klar Antifaschist. Er macht das nicht für die Aufmerksamkeit, sondern aus Überzeugung. Auch wenn wir natürlich nicht jede Woche oder jeden Monat Kontakt haben, wir wissen, er ist da. Wir können auf euch zurückgreifen, wir können euch erreichen – das ist wichtig. Zu wissen, ‚die sind für uns da‘. 

 

 

Im Februar ist Peter Fischer als Präsident zurückgetreten, die Gewinne seines Abschieds-T-Shirts – über 10.000 Euro – gehen an die Initiative. Was habt ihr damit vor? 

Die Initiative lebt von Spenden. Unsere Aktionen, die Blumen, die Kerzen – alles bezahlen wir von Spenden. Aber auch Anwälte oder Gutachten können so finanziert werden. Die Erinnerungsarbeit kostet Geld, wie beispielsweise unser Raum, der Tee oder der Kaffee, der immer da ist. Natürlich decken wir damit auch Kosten der Öffenlichkeitsarbeit. Es hilft uns, für das, was wir noch vorhaben, aber natürlich reicht es alleine nicht. Deshalb haben wir weiterhin unsere Spendenkampagne am Laufen, weil wir sonst unsere Arbeit nicht stemmen könnten, wie wir sie seit Jahren machen. 

 

 

 

„Wir versuchen nicht aufzugeben, die Solidarität ist es, was die Menschen aufbaut und ihnen Kraft gibt weiterzumachen“ 

 

 

 

Wir blicken mal auf die Zukunft. Was sind eure Wünsche?
Wir brauchen Solidarität. Und diese Solidarität muss eine Kontinuität haben und weitergehen. Für Erinnerungsarbeit gegen das Vergessen und dafür, dass wir vielleicht irgendwann ein wenig Gerechtigkeit erfahren. 

 

Was können EIntrachtler tun, um euch zu helfen?
Sie können auf den 19. Februar aufmerksam machen, sich am Gedenken beteiligen, selbst Veranstaltungen oder Lesungen mit den Angehörigen der Opfer organisieren. Sie können spenden, T-Shirts oder Pullis bestellen – das gehört auch zur Erinnerung. Man kann sich auf ganz vielen unterschiedlichen Ebenen beteiligen. Unsere Tür ist offen, fünf Tage in der Woche. Ich lade alle Eintrachtlerinnen und Eintrachtler dazu ein, uns in der Initiative einfach mal zu besuchen und auf einen Kaffee vorbeizukommen.