„Wir haben
uns völlig treiben lassen“
Es gibt zahlreiche Spieler, die gleich zweimal mit der
Eintracht DFB-Pokalsieger geworden sind, 1974 und 1975. Einer von ihnen ist
Thomas Rohrbach. Mit drei Toren bei fünf Einsätzen hatte er insbesondere
1973/74 großen Anteil am Erfolg. Im Interview mit der „Eintracht vom Main“ und
EintrachtTV, das bereits im Mai vergangenen Jahres bei Rohrbach zu Hause in Bad
Hersfeld anlässlich der Vorberichterstattung zum DFB-Pokalfinale 2023 geführt
wurde, spricht der mittlerweile 75 Jahre alte Osthesse darüber, wie die
Eintracht den Pott 1974 erstmals nach Frankfurt holte, wann die Kneipe von Gert
Trinklein aufgesucht wurde und was das alles mit dem Image der „Diva vom Main“
zu tun hat.
Thomas,
welche Erinnerungen hast du an das DFB-Pokalfinale 1974?
Sehr schöne. Und sehr unterschiedliche. Wir haben das Spiel
am Anfang bestimmt. Gert [Trinklein; Anm. d. Red.] machte ein Tor, dabei sollte
der gar nicht über die Mittellinie hinaus. Dann der Ausgleich. Ich hätte vorher
das 2:0 machen müssen. Den Blick von Bernd Nickel werde ich nie vergessen.
Beschreibe
uns diese Szene ein bisschen genauer.
Ich musste eine Flanke kurz vor dem Tor verwerten, habe
aber nicht richtig geköpft, sondern sie abrutschen lassen. Der Ball ging am Tor
vorbei. Bernd guckte mich an und sagte: „Muss das denn sein?“. Im Gegenzug
machten die Hamburger den Ausgleich und wir gingen in die Verlängerung. Das war
dann etwas mehr Arbeit.
Manfred
„Manni“ Kaltz, der Prototyp des Rechtsverteidigers, war damals im Endspiel dein
Gegenspieler. Wie verlief das direkte Duell?
Ich habe schon ein paar Monate vorher in Hamburg gegen
Manni Kaltz gespielt. Ich war gut und habe zwei Tore gemacht. Er hatte wohl ein
paar Schwierigkeiten mit mir, weil ich ihn in Laufduelle verwickelt und
versucht habe, ihn möglichst in der eigenen Hälfte zu halten. Denn wenn er nach
vorne kam, hat er gefährlich geflankt.
Am
Ende habt ihr den Pokal nach Hessen geholt. Neben Torschütze Hölzenbein war mit
Jürgen Grabowski ein weiterer frisch gebackener Weltmeister Teil der
Mannschaft. Er erklärte sich nach dem Spiel zum Trikottausch bereit und
streckte den Pott mit HSV-Jersey in die Luft.
Grabi hatte wohl einen neuen Sponsorenvertrag (lacht). Wir
haben geklatscht und darüber gelacht. Den Pokal konnte uns keiner mehr nehmen.
„Gert
hatte eine Kneipe. Die machte an dem Tag auf, an dem wir das Pokal-Endspiel
gewonnen hatten. Über den Eisernen Steg sind wir natürlich da hin. Wir haben
das Lokal quasi miteröffnet.“ -- Thomas Rohrbach --
Wie
verlief die Feier nach dem Pokalsieg? Gert Trinklein hatte schließlich auch
eine Kneipe, richtig?
Ja, Gert hatte eine Kneipe. Die machte an dem Tag auf, an
dem wir das Pokal-Endspiel gewonnen hatten. Über den Eisernen Steg sind wir
natürlich dahin. Wir haben das Lokal quasi miteröffnet. Das war sehr schön. Wir
haben uns nach dem Sieg unheimlich gefreut und ein spezielles Hochgefühl
gehabt. Wir sind am nächsten Tag über den Eisernen Steg gegangen und mit den
Autos zum Römer gefahren worden. Im Schritttempo, die Leute waren vollkommen
außer sich. Wir haben uns völlig treiben lassen.
Heute
ist es unvorstellbar, dass ein Fußballprofi eine Kneipe betreibt. Wie war das
Kneipenleben dort?
Wir waren nicht jeden Abend da. Wir sind da hingegangen,
mal zum Frühstück für ein „Hallo, wie geht’s?“, mal haben wir einen getrunken.
Ansonsten war er [Gert Trinklein; Anm. d. Red.] auch kaum in der Kneipe. Die
Kneipe war im Zentrum von Sachsenhausen, da musste jeder rein.
Du
warst damals sehr klischeehaft unterwegs: lange Haare, Lebemann. Wurde da auch
viel reininterpretiert?
Ja. Ich habe die Haare damals offen getragen. Es war so die
Zeit, in der man eben längere Haare hatte. Die Hälfte der Mannschaft hatte
lange Haare in den Siebzigern. Das ist unterschiedlich angekommen bei den
Funktionären, man sagte, es gehöre nicht zum drahtigen Image eines Sportlers.
Deswegen haben wir es auch ein bisschen aus Provokation gemacht. Die Fans
mochten es teilweise.
Kann
man sagen, ihr habt das Leben ein bisschen mehr genossen als die Kicker heute?
Wir haben manchmal den Lässigen rausgehauen, das haben die
Leute teilweise falsch interpretiert. Es wurde auch ein bisschen viel darüber
geschrieben. Wir hatten aber auch einen festen Ablaufplan, einen Trainingsplan.
Wenn du abends einen draufmachst und am nächsten Morgen Konditionstraining hast
– das vergisst du nicht. Deshalb hat man sich diese Abende schon eingeteilt.
War
das nicht auch vielleicht ein bisschen das Image der Eintracht: ein bisschen
anders sein, ein bisschen kreativer? Hat sich das vielleicht auch im Fußball
niedergeschlagen?
Es gibt einen gewissen Zusammenhang. Man kann sagen, dass
die Diva vom Main ein gewisser Stil gewesen ist. Die Eintracht hat Spielertypen
verpflichtet, die diesen Stil mitgeprägt haben. Man spielte manchmal nicht den
einfachen Pass, sondern suchte den Schnörkel. Das hat uns auch die ein oder
andere Niederlage eingebracht.
Zurück
zum Sportlichen. Schon der Weg ins Finale war ein interessanter. Du hast auch
ein paar Tore geschossen. Der 1. FC Köln mit Wolfgang Overath war unter anderem
ein Gegner.
Das war auch ein sehr interessantes Spiel, wir haben 2:0
geführt. Ich weiß noch, ich machte das Kopfballtor und dann kippte das Spiel.
Im eigenen Zimmer, im Waldstadion. Wir haben es dann noch gedreht und mit 4:3
in der Verlängerung gewonnen. Das war eben ein tolles Spiel. Die Leute wurden
immer heißer auf den Pokal. Das nächste Spiel stand gegen die Bayern an, von
Anfang an war es eine besondere Partie. Ich hatte den Ausgleich gemacht und
dann gab es in der 90. Spielminute einen Elfmeter, den Jürgen Kalb reingemacht
hat. Es war praktisch ein vorweggenommenes Endspiel. Es war so spannend, die
[Bayern; Anm. d. Red.] wollten ja gar nicht Schluss machen. Sepp Maier
[Torhüter FC Bayern; Anm. d. Red.] hat nicht geglaubt, dass das mit dem
Elfmeter zu Ende ging.
Es
gibt irre Bilder von Sepp Maier vor dem Elfmeter. Der kam immer wieder aus dem
Tor raus, hat den Ball weggelegt ...
Der wollte Jürgen nervös machen. Gott sei Dank wurde der
aber immer kühler.
Was
hat die Eintracht, die Mannschaft, die 1974 den Pokal holte, ausgezeichnet?
Geschlossenheit und Harmonie. Es waren unterschiedliche
Typen, Charaktere, aber eigentlich eine homogene Truppe.
Wie
war die Atmosphäre in der Mannschaft? Karl-Heinz Körbel, der damals noch als
junger Spieler in die Mannschaft kam, sagt, er habe zu allen aufgeblickt. Er
schwärmt von der tollen Atmosphäre – dass ihr viel zusammen gemacht und
gefeiert habt. Wie muss man sich das Leben in dieser Mannschaft vorstellen?
Es war sehr locker, die Leute waren einander sehr
willkommen. Charly hatte als junger Kerl zum Beispiel absolute Akzeptanz. Er
hat sich manchmal ein bisschen gewundert. Er spielte auf einer zentralen Position,
ihn hat man dann auch ein bisschen bemuttert.
Für
die Jüngeren, die Thomas Rohrbach nicht mehr haben kicken sehen: Was war der
für ein Spielertyp?
Ich habe teilweise hinten gespielt, teilweise vorne, es
wurde viel gewechselt. Als Weise [Dietrich Weise, Cheftrainer der Eintracht von
1973 bis 1976; Anm. d. Red.] kam, hat er gesagt: „Du spielst wieder vorne.“
Linksaußen. Da musste ich mich ein bisschen umstellen, konnte mich aber
trotzdem weiterentwickeln.
Warum
ist die Eintracht eine Pokalmannschaft, habt ihr als ehemalige Spieler eine
Erklärung?
Das ist bis heute so geblieben. Das ergibt sich so, das
kann man nicht programmieren. Lange Zeit war das gar nicht so, bis wir die zwei
Pokale 1974 und 1975 geholt hatten. In Frankfurt waren es immer spannende
Spiele, die Mannschaft konnte sich zu Hause immer enorm steigern. In der
jüngeren Zeit hat man es erst wieder gesehen: Die Mannschaft ist in Europa über
sich hinausgewachsen. Letzten Endes ist der Pokal immer ein schnelles Geschäft.
Bei
euch war es ähnlich.
Ja, das stimmt. Im Pokal geht es von Spiel zu Spiel. Ich
weiß noch: Wir hatten auf dem Weg zum Pokalsieg 1975 in Mühlheim ein
Pokalspiel, in dem wir grottenschlecht waren, es zum Schluss aber gewonnen
hatten. Wenn man solche Siege einholt, holt man meistens auch den Pott.