„Im
Ring bin ich von allem befreit“
Assia El Fachtali ist 16 Jahre jung und steht für Eintracht
Frankfurt im Boxring. Erst vor kurzem schnappte sie sich die Deutsche
Meisterschaft in der Altersklasse U19 und wurde vom Bundesnachwuchstrainer zum
WM-Qualifikationsturnier in Brandenburg eingeladen.
Ein regnerischer Morgen im beschaulichen
bayerisch-schwäbischen Königsbrunn ist normalerweise nichts allzu Besonderes.
Für über 150 junge Athleten an diesem 27. Juni allerdings schon. In einer
Hotellobby sammeln sich die besten deutschen Boxer – geprüft wird, ob sie ihr
Kampfgewicht nicht überschritten haben. Eine davon ist Assia El Fachtali.
Boxen hat sich schnell zu ihrer größten Leidenschaft
entwickelt. Mindestens genauso ehrgeizig sind ihre Ziele. Die frisch gebackene
Deutsche Meisterin antwortete, noch kurz vor den deutschen
Jugendmeisterschaften stehend, auf die Frage, was sie im Boxen erreichen
möchte, klar und präzise: „Mein großes Ziel sind die Olympischen Spiele 2028.
Die Deutsche Meisterschaft zu gewinnen wäre cool, aber ich sehe das nur als
Zwischenschritt, nicht als mein großes Ziel.“ Der Zwischenschritt ist schon mal
gelungen.
Ihre Anfänge beim Boxen ließen noch keinen Schluss zu,
wohin ihre Karriere führen sollte. Ihre Schwester, die selbst Kickboxen
betrieb, brachte sie zum Kampfsport. Die gebürtige Hanauerin zog sich vor etwa
drei Jahren im Jugendzentrum in Kesselstadt das erste Mal die gepolsterten
Handschuhe über die Hände. Gepackt von der Intensität des Sports merkte sie
schnell, dass sie nach mehr strebt. So führte sie ihr Weg bereits anderthalb Jahre
später zur Eintracht und ihren beiden Coaches Azzedine und Abdelilah. „Es war
eine schöne Zeit im JUZ, aber ich habe einfach gemerkt, dass ich Hunger auf
mehr habe. Ich wollte olympisches Boxen machen und bei der Eintracht bekam ich
die Chance dazu. Hier hab’ ich mich direkt wohlgefühlt.“
„Das Einzige, worauf ich warte, ist, dass mein Name ausgerufen wird und es in den Ring geht, dann bin ich von allem befreit“ -- Assia El Fachtali --
Was sie immer wieder in den Ring treibt, ist das Gefühl der
Freiheit. Im Alltag ist Assia zurückhaltend, unauffällig, vielleicht auch etwas
schüchtern. „Ich bin keine laute Person, will mich nicht in den Vordergrund
stellen. In der Schule sitze ich auch immer hinten“, gibt die junge Boxerin
Einblicke in ihr Ich außerhalb der Boxwelt. Eigentlich sind das nicht die
typischen Eigenschaften, die man bei Einzelsportlern und erst recht
Kampfsportlern erwartet. Abteilungsleiter und Coach Azzedine El karouia
beschreibt jedoch Athletinnen und Athleten in seinen Reihen, die wie ausgewechselt
sind, sobald sie Handschuhe und Kopfschutz tragen. So richtig greifbar ist
diese Verwandlung nicht. Doch spätestens, wenn man Assia unmittelbar vor einem
ihrer Kämpfe erlebt, kann diese Verwandlung beobachtet werden. Plötzlich schaut
sie nicht mehr schüchtern durch den Raum, sondern ist vollkommen fokussiert.
Fokussiert auf ihre Trainer, fokussiert auf ihre Gegnerin, fokussiert auf den
anstehenden Kampf. „Das Einzige, worauf ich warte, ist, dass mein Name
ausgerufen wird und es in den Ring geht, dann bin ich von allem befreit.“ Über
die Frage, von was sie denn befreit sei, denkt Assia kurz nach, atmet nochmal
tief ein und gibt dann einen Einblick in ihre Gefühlswelt: „Vorm Kampf geht
einem so viel durch den Kopf. Ich denke daran, was ich alles aufgeben musste,
um hier stehen zu können, was ich vielleicht auch verpasse. Ich denke an die
ganzen Leute, die es nicht geschafft haben, hier zu stehen. Ich denke an meine
Gegnerin. Anspannung, Nervosität, die immer intensiver wird, je näher der Kampf
rückt. Druck – kein schlechter Druck, eher ein vorfreudiger Druck, weil ich
weiß, dass es gleich losgeht. Dann geht es um mich, alles andere ist egal, ich
lege das alles ab und bin voll im Tunnel.“
Beim Vorbild herrscht Uneinigkeit zwischen Azze und Assia.
Assia sieht Mike Tyson als ihr großes Idol, „ich will so aggressiv boxen wie
er“. Als sie den Namen von Tyson ausspricht, schüttelt ihr Coach nur den Kopf.
Dann verschwindet er für eine Minute im Hinterzimmer des heimischen Boxgyms im
Frankfurter Osten. Mit zwei Bildern in der Hand kommt er wieder. Auf dem einen
ist Muhammad Ali zu erkennen, wie er in Rücklage dem Schlag seines Gegners
ausweicht. Auf dem anderen ist quasi die Kopie des Bildes zu erkennen, die
Hauptfigur in diesem Fall jedoch Assia El Fachtali. „Damit ist die Sache des
Vorbilds wohl beantwortet“, antwortet Azzedine mit einem breiten Grinsen.
„Sie ist eine relativ komplette Kämpferin, bringt die nötige Aggression mit – muss sich aber in ihrer Komplettheit einfach noch weiterentwickeln“ -- Azzedine El karouia --
Richtige Stärken und Schwächen habe Assia als Boxerin
nicht. „Sie ist eine relativ komplette Kämpferin, bringt die nötige Aggression
mit – muss sich aber in ihrer Komplettheit einfach noch weiterentwickeln“,
beschreibt ihr Coach ihre Fähigkeiten im Ring. Sie dominiert gerne ihre
Gegnerin und schickt sie auf die Außenbahn, hält sich an die Ansagen aus der
Ringecke und kommt selbst zu Lösungen, um die gegnerische Abwehr zu
durchdringen. Einzig ihre Konzentration scheint sie ab und an zu verlieren. Die
Coaches ermahnen sie regelmäßig von außen, dass sie konzentriert boxen, keine
Späße machen und mit dem Kopf da sein soll. Das Talent ist offensichtlich. Ob
es für die großen Ziele von Assia reicht, schätzt Azzedine ein: „Sie kann das
schaffen, muss voll dabei bleiben. Dann ist Olympia 2028 nicht nur ein Traum.“