IN DIESEM JAHR – DER FILM war beschlossene Sache. Die Nacherzählung bringt ihn fast ein halbes Jahr später an der Säbener Straße [Geschäftsstelle des FC Bayern München, Kovacs damaligem Verein; Anm. d. Red.] im Interview die Tränen in die Augen. Neben der Entscheidung, wie der rote Fa- den aussieht, bedarf es auch in weiteren Bereichen einer enormen Vorbereitung. Wie hat das bei euch ausgesehen? Tanneberger: Ganz am Anfang stehen Vorge- spräche mit den Kollegen aus dem Medienbe- reich der Eintracht. Das Gute ist, dass in Frank- furt Reflexionsfähigkeit vorhanden ist. Die Leute wissen, was ein guter Film braucht. Das hat immer mit Fallhöhen zu tun. Wie tief ist das Loch, aus dem ich gekrabbelt bin? Für uns war schnell klar: Frankfurt ist bereit, den eigenen Schmerz zu zeigen. Martina, anlässlich eines anderen Projekts habe ich eine Pressekonferenz mit dir gese- hen, in der du von einer „besonderen Herangehensweise“ gesprochen hast. Es gehe viel um Vertrauen. Kannst du diese Philosophie erklären? Hänsel: Wir müssen erst herausfinden, ob und wer bereit ist, die Geschichte zu erzählen. Da- für hatten wir nicht viel Zeit. Dennoch haben wir mit allen Interviewpartnern Vorgespräche geführt. Wir haben darin versucht zu erläu- tern, dass wir nach unserer Frage die Meinung, das Gefühl und die Wahrnehmung des Prota- gonisten erleben und hören möchten. Diese Wahrnehmung kann völlig anders sein, als wenn wir von außen draufschauen. Und: Jeder soll nur so viel erzählen, wie er bereit ist zu erzählen. Jeder weiß für sich, wie bereit er ist, über seine Geschichte zu sprechen. Dazu macht das Setting viel aus. Wir haben eine in- time Atmosphäre geschaffen, nur mit dem Kamerateam und uns im Raum. In den Gesprä- chen war Zeit vonnöten, um Verbindung auf- zubauen. Die Protagonisten haben sich gerne diese Zeit genommen. Es ging um ein schönes Thema, man konnte in Erinnerungen schwel- gen. Aber es gab auch Protagonisten, die sich in den Schmerz haben gucken lassen. Martin Hinteregger zum Beispiel, als er über seinen Umgang mit Druck spricht. Oder die Spieler, die die Phase der Ungewissheit zu Saisonbe- ginn beschreiben. Es war ein wichtiges Com- mitment, dass wir dieses Vertrauen aufbauen. Wir wollen eure Geschichte erfahren und was in euch vorging, das war unsere Message. Tanneberger: Dabei war auch erlaubt, dass sie übers Ziel hinausschießen. Dann nehmen wir das einfach nicht mit in den Film. Uns geht es nicht um Schlagzeile, sondern um ein ehrli- ches und offenes Gespräch. Wir wollen ein Ge- samtkunstwerk. Wir interpretieren und analy- sieren nicht. Der Zauber für uns ist der, sich vertrauensvoll zu öffnen. Hinti mit dem Thema Druck, was in dieser Form sicherlich einmalig ist, das offen zuzugeben. Axel Hellmann, der über soziale Vereinsamung während der Co- ronapandemie spricht. Und vieles mehr. Wir wollen keinen zum Weinen bringen, aber wenn es passiert, geben wir der Emotion ihren Raum. Diese Ergriffenheit von Kevin Trapp in einer Szene zeigt, was ihm dieser Erfolg bedeu- tet. Inspiration ist hier einer der stärksten Emotionen, die du vermitteln kannst. Wenn jemand den Mut hat, Tränen zuzulassen, ist das inspirierend. Du wirst zum emotionalen Vorbild, unabhängig vom sportlichen Erfolg. Das inspiriert auch die Kinder, ihre Playstation zur Seite zu legen und auf den Bolzplatz zu ge- hen, weil sie sehen, was sie erreichen können und wie sehr es sich lohnt, für seine Träume zu kämpfen. Es sind die Momente, für die die Jungs Fußball spielen. Das betont auch Oliver Glasner sehr schön. 30 Stunden Interviewmaterial von 29 Ge- sprächspartnern zeugen auch davon, wie groß die Bereitschaft war, sich zu öffnen. Dazu kommen natürlich sehr viele Blicke durchs Schlüsselloch, Spielszenen und vie- les mehr. Wie bricht man das alles runter auf 120 Minuten? Tanneberger: Du musst dich trennen können und überlegen, was dich in der Geschichte wei- terbringt. Wir wollten, dass die Eintracht die Innensicht erzählt. Was waren die entschei- denden Punkte auf dem Weg zum Titel, wie hat sich das für die Protagonisten angefühlt? Da gibt es natürlich jede Menge. Gonçalo Pacien- cia, der nach seinem Tor in Antwerpen fühlt, wieder zur Mannschaft zu gehören. Kevin, der die Bedeutung des Bayern-Spiels hervorhebt. Aus dem Feedback wissen wir, dass manche noch mehr Spielszenen haben wollten; dieses Gefühl, dass die Power auf den Platz kommt. Andere sagten, dass sie die ersten 30 Minuten mit viel Redeanteil total wichtig finden, um die Menschen greifen zu können. Auf was kommt es noch an? Tanneberger: Nehmen wir die starke Szene, als Sebastian Rode in der Umkleide seines Hei- matvereins sitzt und vorab schaut, ob er genau den Platz trifft, wo er als Vierjähriger gesessen hat. Dann lehnt er sich an und du merkst, wie es für ihn ist, nochmal auf genau diesem Platz zu sitzen und davon zu erzählen, wie ihn der strenge Platzwart Herbert auch mal vom Ge- lände verjagt hat. Wir als Geschichtenerzähler wollen das für den Zuschauer emotional erleb- bar machen. Für uns ist es im Moment des Fi- nales, als er sich am Kopf verletzt, enorm wich- tig. Da transportieren wir nochmal etwas ganz anderes über diesen Menschen, weil ich ihn vorher persönlich kennengelernt habe. Es wird immer Menschen geben, die diese Szene nicht brauchen. Für viele ist er im Film aber das Vor- bild, einer, der sich hochgekämpft hat und als „Einer der schönsten Ge- schichten ist das Zusam- menfinden von Mannschaft und Fans nach der Corona- pandemie, angekurbelt durch den sportlichen Erfolg. Diese Ehrerbietung zu leben und zu dokumentieren, beispiels- weise durch Kevin, der auf dem Rasen nach dem Finale in Richtung der Fans sagt ‚Dieser Pokal gehört Euch‘, ist unglaublich.“ Björn Tanneberger 18